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Lang: Das Ichbewußtsein, d. wahre Wesen d. Geisteskrankheiten. 115
nur mehr von dem Blicke in das Geistige befangen und mein
„Selbstbewußtsein" war nur mit dem Schauen in sich selbst ausgefüllt
(Ich-Anschauung). Es war mir anfangs sehr unheimlich
zumute, ich wollte mich wieder losreißen aus dem mir unerklärlichen
Selbstbeobachtungszustande, aber ich konnte es nicht mehr,
ich war schon zu sehr befangen und fand in meiner jugendlichen
Unwissenheit und Unkenntnis den geistigen Weg nicht mehr zu-
rück. Ich konnte ihn schon nicht mehr finden, weil ich nicht
wußte, daß das geschaute Geistige, ich selbst bin, bzw. es zu meinem
wirklichen, als „Geführbewußten Ich gehörte.
Ungefähr drei Tage war das mir eine furchtbare Seelenqual,
bis ich mich an diesen fortwährenden rätselhaften und unheimlichen
Selbstbetrachtungszustand allmählich gewöhnte. Es war mir so,
als ob vor meinem Denken ein Spiegel hinge, der mich von
den Eindrücken der Außenwelt zwar nicht lostrennte, aber so von
der Außenweit trennte, daß ich nicht mehr in unmittelbarer Fühlung
mich mit ihr befand. Alles, was ich in der Außenwelt
schaute und erlebte, kam nunmehr anscheinend mittelbar
zu mir, zu meinem Ich und ich schaute die Außenwelt und meine
Innenwelt, welche für mich auch als Außenwelt galt, aus meinem
geschauten sich bewußten Bewußtsein (= Selbstbewußtsein, empirisches
Ich), das wie ein Spiegel fortwährend Tag und Nacht
selbst im Traume, vor meinem wirklichen Ich hing. Alle Eindrucke
und Einflüsse der Außenwelt, wie auch der Innenwelt, zeigten sich
nur in diesem Ichspiegel bzw. Bewußtseinsspiegel, und erst aus
diesem heraus nahm ich die Eindrücke und Einflüsse in mir auf.
Selbst mein eigenes Denken und Fühlen, das ich nicht als zu mir
selbst gehörig betrachtete, da ich nicht wußte, daß mein Ich der
Träger bzw. Erzeuger des Denkens und Fühlens ist, kam mir erst
in diesem Bewußtseinsspiegel als geistige Fremdkörper zum Bewußtsein
. So war ich auf diesen Spiegel angewiesen behufs
meiner geistigen Existenz, damit ich aus ihm das Denken und Fühlen
usw. erhalte. Ich begriff nicht mehr, daß andere Menschen
ohne diesen mir rätselhaften Spiegel denken und fühlen können.
Den Bewußtseinsspiegel vor meinem Geiste zu entfernen, hieß soviel
, wie mein Denken und Fühlen, mein Bewußtsein zu entfernen
. Da aber dieses natürlich nicht möglich ist, so mußte ich
fortwährend diesen Bewußtseinsspiegel, von dem ich das Denken
und Fühlen zu erhalten glaubte, vor meinem geistigen Auge, dem
Ich, hängen lassen, und zwar ohne Unterbrechung. Über zehn
Jahre, also vom 13. bis über das 23. Lebensjahr, dauerte u n -
unterbrochen dieser Selbstbetrachtungszustand, den unerklärlichen
mir nicht bewußten Bewußtseinsspiegel fortwährend
vor meinem Geiste hängend, in welchem ich immer mein geistiges
Leben und die Außenwelt sich abspiegeln sah. Also stand ich
nicht mehr in aktiver unmittelbarer Fühlung mit der Außenwelt,
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