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Reichenau: Ist Prophezeien möglich?

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Das läßt sich nicht überblicken, und daher führt die Wahrscheinlichkeitsrechnung
leicht zu Trugschlüssen.

Die Zufallstreffer dürfen nicht zu gering eingeschätzt werden unter
den an sich seltenen Prophezeiungen! Von den Nichteingetroffenen
spricht man gemeinhin nicht, daher wissen wir nie, unter wieviel Nieten
hier das große Los ist, das wir gewinnen sehen. Wenn tausendmal
nicht das geschieht, was man geahnt hat — so wundert man sich nicht —
wohl aber das eine Mal, wo es geschieht. Ja, erst dann kommt einem
die Ahnung als solche so recht zum Bewußtsein. Das Eintreffen über-
* rascht; das Nichteint.re.ffen hinterläßt keine Spur, oder man läßt es
möglichst unbemerkt unter den Tisch fallen — wie jeden Mißerfolg
im Leben. Während so einerseits vieles herangezogen werden kann,
was eine natürliche Erklärung der prophetischen Tatsachen ermöglicht
— ergibt sich andererseits diesen Tatsachen gegenüber, daß man es
ohne Zweifel bei den meisten vfon ihnen miti mehr als normaleiri
Leistungen zu tun hat. Nämlich mit Ergebnissen aus supranormalen
Fähigkeiten der Menschen mit unterbewußten Schlüssen aus telepathischem
oder hellseherischem Ueberschauen der Gegenwart, also mit unechter
Prophetie. Diese Prophetie ist häufig verknüpft mit scharfsinnigen
Beobachtungen und Berechnungen, die noch ins normale fallen.
Oder es spielen Phantasieprodukte hinein, die gelegentlich die Prophezeiung
erweitern mögen; aber zumeist verwirrend wirken. Wenn man
diesen Leistungen die Anerkennung als echte Prophetie abspricht, so
setzt das ihre Bedeutung nicht herab — eine Bedeutung, die der aufmerksamsten
Forschung wert ist!

Die Ueberleistungen des Unterbewußtseins, die der unechten Prophetie
zugrunde liegen, erstehen bei einer augenblicklichen Steigerung
der aufnehmenden Fähigkeiten der Seele: sie setzen einen seelischen
Erregungszustand, eine Ueberempfindlichkeit des Unterbewußtseins
voraus. Mit dieser geht ein Ausschalten der bewußten Seelentätigkeit
Hand in Hand, ja, diese scheint so recht eigentlich das Bedeutsamste
bei diesen Vorgängen zu sein.

,,Das Zurücktreten des wachen Seelenlebens zum zweiten Gesicht
ist ein Verlieren der Selbständigkeit, der Persönlichkeit, es versinkt
gleichsam tief in den Kreis des allgemeinen Natur- und Menschenlebens,
und wird zu einem rezeptiven Teil dieses großen organischen Ganzen. 4
(Garus, Vorlesungen über Psychologie.)

„Wenn der denkende Geist die Organe nicht beherrscht, werden
die Kräfte der Welt sie beherrschen." (Roger, ,.Philosophie of my-
sterious agents*', i853, cit. nach Aksäkoff.)

Prophezeien ist ein Erleiden — kein Tun. Nicht auf ein beschriebenes
Blatt, sondern auf ein leeres zeichnen sich die Strömungen des
Weltgeschehens ein. Diese Ströme gehen aus sowohl von der belebten
als auch von der unbelebten Natur, geistiges, oder vielmehr seelisches
Wirken ist in beiden Reichen vorhanden und liegt diesen Strömungen
zugrunde. Die Annahme vom Vorhandensein dieser Ströme oder
Energien in aller Natur, ist durchaus notwendig als Schluß aus der