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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1963/0063
In Anbetracht dieser literarischen Parallele wird nun auch die Geste Gottes
verständlich: es ist keine segnende Gebärde, sondern die erhobene Hand des
Verkündenden, in diesem Falle des Gebietenden, dessen Auftrag der huldigende
Michael entgegennimmt.

Die Wiener Genesis gibt uns nun auch Aufschluß darüber, wieso gerade
diese Szene in Freiburg an die Spitze des Bilderzyklus von der Schöpfung gestellt
worden ist: die Erschaffung des Menschen steht mit dem Sturze Luzifers
in einem kausalen oder, richtiger gesagt: teleologischen Zusammenhang. Mittelalterlich
gedacht ist es falsch zu sagen, Luzifers Sitz werde ihm in die Tiefe
der Hölle nachstürzen; denn dieser Stuhl bleibt - - wenn auch leer — in seinem
Range stehen und bestehen, und um ihn neu zu besetzen, schafft Gott den
Menschen. Die Wiener Genesis gebraucht zwar in diesem Zusammenhang nicht
das Wort Stuhl; sie spricht von Luzifers Chor:

67 Do got daz gebot,

der chor wart zestoret.

79 Do der chor ward errumet,

80 got nam ze sinen engelen rat,
wie si ime rieten

daz er den chor bestifte.
do sprachen die engele
ze gote ire herren

85 daz er uz allen den choren
die ime da gehorsam waren
so uil engele name
daz sin dienest da gare wäre,
des antwurt in got der gute,

90 er sprach ime wäre anderes ze mute,
sprach er wolte machen einen man
nach sinem bilde getan,
daz der wücher brahte
Linz er den chor erwlte26.

An ihrer Stelle sind andere Quellen deutlicher, so die mittelfränkische
Reimbibel, die hier vom Stuhl spricht (C 27—30)27.

Aber nicht nur die Erschaffung des Menschen, sondern auch der Sündenfall
ist die konsequente Folge dieses Ur-Ereignisses; denn daß der gestürzte Luzifer
den Menschen verführt, geschieht aus Rache für seinen Sturz und, weil er dem
Menschen mißgönnt, daß dieser nunmehr seinen Stuhl innehat. So fährt die
mittelfränkische Reimbibel fort:

C 31 Thure sinen bösen nith.

betroch er thaz arme wif.

20 Übertragung: „Als Gott das geboten hatte, wurde dieser Chor aufgelöst." „Als der Chor gänzlich geräumt
worden war, ließ sich Gott von seinen Engeln beraten, was sie ihm vorschlügen, wie er den Chor neu
besetzen solle. Da sprachen die Engel zu Gott, ihrem Herren, er solle aus den treu gebliebenen Chören
so viele Engel herausnehmen (daß er damit jenen freien Chor berufen könne und) daß dieser zu seinem
Dienste gerüstet sei. Darauf antwortete ihnen Gott, er habe anderes im Sinne: er wolle zu seinem Ebenbilde
einen Menschen schaffen, damit der (so lange) Frucht bringe, bis er den (unbesetzten) Chor aufzufüllen
vermöchte."

27 Übertragung: „Daß Gott Adam aus Erde erschuf, das tat er dem Teufel zuleide und zur Schmach: damit
dir Erde den Stuhl innehabe (Thaz thiu erfhe then stol beseze), von dem er ihn verstoßen hatte."

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