Freiburger historische Bestände - digital

Zum realen Kern der Passio Thrudberti
im St. Galler codex 5771

Von Willi Werth

Die Frühjahrstagung 1974 des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte
brachte auch eine Diskussion über den Stellenwert der Heiligenleben in der
historischen Forschung. Dabei zeigte sich je nach Ansatz eine gewisse Differenzierung
. Einiges sei hier herausgegriffen, das in diesem Zusammenhang wichtig erscheint
.

Während Franticek Graus als Vertreter hagiographischer Forschung unter anderem
die historische Überlieferung in den Viten bei der spärlichen Quellenlage
für das 7. Jahrhundert mit Zurückhaltung beurteilte und vom Thema seines Vortrages
mehr auf literarische und sozialgeschichtliche Bezüge, Zusammenhänge, Typen
und Topoi abhob,2 betonte Arnold Angenendt in den Viten den religiösen Erbauungscharakter
, die Gestaltung eines monastischen Idealkanons, gelesen am Todestag
oder Gedenktag des Heiligen und bei anderen Anlässen, wobei der reale
Lebensweg zweitrangig zu sehen sei.3

Karl Bosl und Friedrich Prinz ging es im besonderen um die Frage und die Möglichkeit
der Erfassung von Realität in den Viten, auch „in dem schon zum Topos
geronnenen Kern" und zwar im Gegensatz zu einer quantifizierenden Methode, um
detaillierte Einzelforschung.4

Es sei hier noch auf die 1958 erschienene Arbeit von Alexander Bergengruen
Adel und Grundherrschaft im Merowingerreich hingewiesen und aus der Besprechung
von Franz Steinbach5 einiges angeführt, was die Frage nach dem Stellenwert

1 Bruno Krusch Mon. Germ. hist. scrip. rer. Merov. 1902 IV, 357 365. Im folgenden: Pas . . . Kap . . . Z . . .
Krusch bringt ähnlich wie schon Mone eine Zusammenfassung der bekannten Handschriften und differenziert
durch Fußnoten und Anmerkungen. Er gliedert sie wie dieser in numerierte Kapitel, die die Passio
nicht kennt. Vgl. auch F. J. Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, Leben des heiligen
Trudpert, Karlsruhe 1848 Bd. I, S. 17 28. Der codex 577, Pergament 34,5 x 25,5 cm, enthält eine Sammlung
von Heiligenviten. Die Passio „Thrudberti" erscheint hierin als 24. Kapitel (S. 367 374) nach der Vita
des Bischofs Germanus und vor der Passio des Sciandedus. Das Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite des
codex vermerkt: Passio Thrudperti heremite. Die Schreibweise der Personennamen wechselt. Die Vorrede
(Pas 357, Kap. 1) ist wohl für alle mit Trudpert beginnenden Martyrerviten zu verstehen. Sie ist vom
durchgeschriebenen Text der Passio Trudperti abgesetzt.

2 Protokoll über die Arbeitstagung vom April 1974 auf der Insel Reichenau Nr. 188: Prof. Dr. Frant. Graus,
Basel, Sozialgeschichtliche Aspekte der Hagiographie der Merovinger und Karolingerzeit. Die Heiligen
des südalemannischen Raumes und die sogenannten Adelsheiligen, S. 38 55. Jetzt in Vorträge und Forschungen
Bd. XX, MÖnchtum, Episkopat und Adel zur Gründerzeit des Klosters Reichenau, hrsg. von Arno
Borst. — Grundsätzlich: ders,, Volk, Herrscher u. Heiliger im Reich der Merowinger, Prag 1965.

8 Ebd. Prot. S. 110 u. Vorträge u. Forschungen Bd. XX.

4 Ebd. Prot. S. 56 57 u. Vorträge u. Forschungen Bd. XX.

5 Alexander Bergengruen, Adel und Grundherrschaft im Merowingerreich, Rezension von Franz Steinbach
in: Franz Petri, Siedlung, Sprache und Bevölkerungsstruktur im Frankenreich, Wege der Forschung Bd. II
1973, S. 532.

145