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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1978/0103
Meine Mutter muß sich recht nach Kindern gesehnt haben, denn sie erzählte mir,
daß sie in den ersten Monaten - ohne Aussicht auf Nachkommenschaft - daran
gedacht habe, ein Kind anzunehmen. Nach einem Jahr und vier Monaten aber
begann die Gründung der Orgelpfeifen, 11 an der Zahl. Als solche mußten die ersten
sechs beim Besuche auswärtiger Freunde und Verwandten wie die Soldaten in
einer Reihe aufmarschieren.

Als Großherzog Leopold [1790-1852, Großherzog ab 1830] im Jahre 1830
nach Freiburg kam, war festlicher Empfang. „Ich", sagte die Mutter, „zierte das
Haus nicht mit Blumen und Kränzen, stellte aber meine drei Kinder, weiß gekleidet
ans Fenster, das war mein schönster Schmuck."

Sie zeigte mir das Haus, in dem sie mich geboren hat. Es steht - jetzt umgebaut -
vor dem Schwabentor [jetzt Schwabentorstraße]; unmittelbar nebenan fließt der
Gewerbekanal. Sie erzählte mir, daß sie kurz vor meiner Ankunft Krammetsvögel
gegessen habe, die der Vater in Schlingen gefangen hatte. Als Kind muß ich
ein netter Junge gewesen sein. Unsre Magd „'s Evle" hat mir nämlich, als ich
schon erwachsen war, oft erzählt, daß, wenn sie mit mir über die Straße gegangen
sei, die Leute gefragt hätten, wem der schöne Bub mit den blauen Augen und blonden
Locken gehöre; „aber", setzte sie hinzu, „jetzt sieht man es Dir nicht mehr an."

Im Winter bestickten wir rohe Salzsäcke mit bunter Wolle mit dem „Kreuzle-
stich" in langen Reihen, das gab unsere Teppiche vors Bett.

Eine andere Maßregel der Mutter bereitete uns manchen Schmerz. Der kleine
Onkel Hermann Buisson, damals Junggeselle, sandte von Karlsruhe dann und
wann eine Kiste voll abgelegter Kleider, die wir kaum verändert anziehen mußten
. Aber welches Hohngelächter in der Schule, als ich mit einem aus mehreren
Krägen bestehenden Mantel und ein andermal in einem blauen Frack mit goldenen
Knöpfen, an dem die Schöße abgeschnitten waren, erschienen bin. Die Kleinen
mußten sich auch oft mit den auf sie gekommenen Kleidern des Vaters oder
der älteren Brüder begnügen, daher die Einteilung der Gewänder in „neue" und
„nagelneue". Nahm der billige Schneider von Günterstal an den Buben das Maß,
so sagte die Mutter: „Herr Steiert, nur recht vollkommen". Das hieß, die Hosen
mußten bis unter die Achsel reichen und an den Rockärmeln schauten nur nach die
Fingerspitzen hervor; da konnte man ja lange hineinwachsen.

Die Mutter hielt, obwohl die Tochter eines protestantischen Theologen, viel auf
die katholische Kirchenzucht. Sie sagte mir, daß, wenn sie besondere Fehler an
einem Kinde bemerkt habe, deren sie nicht Meister geworden, sie dem Religionslehrer
ihr Herz ausgeschüttet habe, und bald seien die guten Folgen sichtbar gewesen
.

Die Mutter fand außer am Karfreitag keine Zeit zum Kirchenbesuch; sie meinte,
sie habe daheim im Elternhause zuviel hinter die Kulissen gesehen, die Kinder
seien ihre Kirche und recht handeln sei das beste. Die rechtgläubige katholische
Tante Marie Buisson sagte einmal zu meiner Schwester Lina, mit der sie sich in ein
Gespräch über religiöse Fragen eingelassen hatte: „In Dir steckt der Kirchenrat
[der Großvater]." Die Erfurcht vor den Eltern und die Liebe zu ihnen, die Grundpfeiler
eines richtigen Lebens, sind in uns Kindern sicherlich nicht geschädigt worden
.

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