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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1979/0150
war; letzteres angesichts der unzureichenden hygienischen Verhältnisse in den Arbeiterbehausungen
eine Wohltat für den ganzen Ort. Parallel zu diesen Aktivitäten widmete
Kreutz sich dem Studium der Nationalökonomie. 1922 promovierte er zum Dr. rer. pol.
mit einer Dissertation, die aus der Arbeit in Untergrombach erwachsen war: „Das ländliche
Gemeindeheim; eine Studie zur ländlichen Wohlfahrtspflege". Während des Krieges war
Kreutz Garnison-, dann Divisionspfarrer an der Westfront, später in Galizien und in
Finnland. 1919 übernahm er die Leitung der Berliner Niederlassung des DCV, 1922 wurde
er als Nachfolger Werthmanns zum zweiten Präsidenten des DCV gewählt. In den
folgenden Jahrzehnten prägte er weitgehend die Arbeit dieses Verbandes.

Als dessen Hauptarbeitsgebiete nennt Kreutz 1924 Hausarmenpflege, Familien-, Kinder
-, Jugend- und Krankenfürsorge, Caritashilfe in der Seelsorge, Caritaspflege auf dem
Land, Mädchenschutz, Fürsorge für körperlich oder geistig Abnorme, für Arbeits- und
Obdachlose, Bekämpfung der Trunksucht, Fürsorge für die deutschen Katholiken im Ausland
. Besonders stark war der DCV nach den Weltkriegen und während der Wirtschaftskrise
Anfang der 30er Jahre gefordert: Er sammelte und verteilte Nahrung, Kleidung,
Brennstoffe, Geld, er widmete sich der Wohnraum- und Arbeitsvermittlung, nach 1945
zusätzlich der Flüchtlings- und Vertriebenenhilfe, der Rechtsberatung, der Familienzusammenführung
. Dazu kam seit den 20er Jahren die Gründung und Unterhaltung sozialer
Schulen für die Aus- und Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter, die Umschulung von
stellenlosen Lehrerinnen zu Gemeindehelferinnen, die Gründung einer angesehenen Fachbibliothek
.

Angesichts so vielfältiger Aktivitäten ist man gespannt auf die Schilderung der Auseinandersetzungen
mit dem Nationalsozialismus, die angesichts dessen Anspruch, den ganzen
Menschen und das ganze Volk in Beschlag zu nehmen, nicht ausbleiben konnte. Wollasch,
der auch negative Züge im Wesen Kreutz' nicht verschweigt, bemüht sich hier um höchst
differenzierte Darstellung. Der DCV wurde weder aufgelöst noch „gleichgeschaltet", doch
sah er sich zum Lavieren gezwungen; der Historiker beobachtet das Nebeneinander von
Standfestigkeit und Nachgeben. Wollasch verweist auf Mut und Zivilcourage, die einzelnen
Mitgliedern des DCV die Einlieferung ins KZ brachte, und fährt fort: „Das sind bekannte
Beispiele, die Hochachtung heischen, auf die man sich jedoch für die Dauer nicht
ausschließlich wird berufen dürfen, wenn nach dem Preis gefragt wird, den die deutsche
Caritas für die Wahrung ihres Auftrags und ihres Freiraums bezahlt hat" (S. 156). Diese
Sätze stehen in dem hier erstmals veröffentlichten Kapitel 6 „Caritasverband und Nationalsozialismus
: Fragestellungen. Zwischen Anpassung und Gegnerschaft". Das kritische Abwägen
, das Bemühen, auch den seinerzeit in Schuld Verstrickten gerecht zu werden, sollte
von all denen zu Kenntnis genommen werden, die allzu schnell vom „Versagen" der Kirche
und ihrer Institutionen im III. Reich sprechen auch angesichts von Reaktionen der Caritas
auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Kapitel 9) sowie der Euthanasie
im III. Reich (Kapitel 10). Das einschlägige Schrifttum zu diesem Thema wird aufgearbeitet
; noch sieben Wochen nach Kriegsende wurde die Euthanasie irj Kaufbeuren praktiziert
! (S. 210). Nach dem Krieg veranstaltete der DCV eine Umfrage bei den vom Eutha-
nasie„programm" seinerzeit betroffenen Häusern. In einem der Berichte (Dokument 49
vom 14. 8. 1959) heißt es: Zusammenfassend ist zu sagen, „daß im ganzen 170 Erwachsene
und 72 Kinder verlegt wurden. Bei 55 Kranken gelang es, eine Verlegung zu verhindern
. Von den verlegten Kranken sind mit ziemlicher Sicherheit HO1 nicht getötet worden
, 30 mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Über die 24 saarländischen Kranken ist nichts
Sicheres bekannt. Bei 78 ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß sie getötet wurden".
Bediensteten der hier berichtenden Heil- und Pflegeanstalt war seinerzeit bekannt, daß
Verlegung von Patientinnen deren wahrscheinlichen Tod bedeutete. Darf man die Ver-

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