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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1980/0166
halten ... Es erhebt sich die Frage, ob heute schon der Zeitpunkt gekommen ist, Konzerte
zu veranstalten. Die Meinungen gehen auseinander. Viele Kreise legen besonderen Wert
darauf, daß die Konzerte durchgeführt werden, aber nach meiner Meinung würde es die
große Masse der Bevölkerung merkwürdig berühren, wenn heute schon angesichts der
Trümmer, unter denen noch 1200 Tote liegen, angesichts der Not und des Elends, der Ungewißheit
über das Schicksal von Angehörigen usw. Konzerte veranstaltet würden. Ich bin
der Ansicht, daß der Zeitpunkt noch zu früh ist, und daß wir dem Herrn Vondenhoff die
Räume und die Musiker im gegenwärtigen Zeitpunkt noch verweigern müssen." Und für
die übrigen Mitglieder des Beirats heißt es im Sitzungsprotokoll: „Vonseiten der Beiratsmitglieder
wird hierzu bemerkt, daß man berücksichtigen müsse, daß sich die Bevölkerung
in einer großen Volkstrauer befinde, und daß es zweifelhaft ist, ob die Stadt finanziell
überhaupt in der Lage ist, derartige Veranstaltungen regelmäßig durchzuführen . . ."
(Stadtarchiv Freiburg, C4 V/4 Nr. 10). Bruno Vondenhoff, der 1938 in Freiburg als Generalmusikdirektor
engagiert worden war, betrieb 1945 seine Rehabilitierung. 1944 war
sein Vertrag von der Stadt nicht mehr verlängert worden, wobei neben den üblichen persönlichen
Rivalitäten die Tatsache, daß Vondenhoffs Frau Halbjüdin war, eine erhebliche
Bedeutung gehabt zu haben scheint. Peter Wapnewski, heute Professor für deutsche Literatur
des Mittelalters an der Universität Karlsruhe, damals, im letzten Sommersemester des
Krieges, Student in Freiburg und Mitglied des städtischen Chors, den Vondenhoff leitete,
schildert in seinem Beitrag zu dem von Dietrich Kayser herausgegebenen Sammelband
„Ortsbeschreibung Autoren sehen Freiburg", wie die Entlassung Vondenhoffs zu Protestaktionen
der Studenten und zu nächtlichen Plakatanschlägen geführt hat eine in jenen
Jahren nahezu einzigartige Reaktion auf obrigkeitliche Willkür. Erinnerung als „private
Form der Geschichte", wie Wapnewski es formuliert, ist in diesem Fall zugleich Ersatzdokumentation
. Denn in den Akten, sofern sie überhaupt erhalten geblieben sind, findet
sich nur noch in einem Schreiben Vondenhoffs vom 21.6. 1945 eine Spur von diesen Ereignissen
: „Die Empörung, die damals losbrach, ist bekannt. Dr. Hof er (als Bürgermeister
Vorstand des städtischen Chors) bekam sie in einer stürmischen Vollversammlung ... zu
spüren, und die Erregung der Studenten machte sich sogar in Maueranschlägen Luft" (Stadtarchiv
Freiburg, C4 V/4 Nr. 10).

Zeitgeschichtliches aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren im zerstörten Freiburg findet
sich in Kaysers „Ortsbeschreibung" auch in den Erinnerungen von Walter Jens, Bert Jäger,
Horst Krüger und Karl Wittlinger. Das Problem der späteren, etwa Jürgen Lodemanns
und Peter Schneiders, ist dagegen nicht das zerstörte, sondern das heile Freiburg, eine Stadt,
in der man nicht „erwachsen werden kann", die Provinzstadt mit ihrem, wie es scheint,
Übermaß an „Lebensqualität", die Christoph Meckel als utopisches Bild, als „Garten Eden"
am Oberrhein beschreibt. Insgesamt ist mit diesem Band eine Sammlung sehr subjektiver
Skizzen zustande gekommen. „Autoren sehen", wie Dietrich Kayser bemerkt, „in dieser
Stadt sich selbst. Freiburg wird unverwechselbar durch die jeweilige Eigenart der Autoren."
Gerade das macht natürlich den Reiz dieses Bandes aus, und deshalb sei allen, die ein Interesse
an dieser Stadt haben, beide Publikationen empfohlen, Bruechers nüchterne Dokumentation
der Nachkriegszeit und Kaysers Sammlung subjektiver Erfahrungen.

Hans Schadek

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