Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
101.1982
Seite: 318
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Organik und Natur, aber auch um kunstgeschichtliches Traditionsgut wie etwa
die Gotik kreisen, stets in neuen Zusammenhängen wieder. Ein mit der Ziffer
„VIII" bezeichneter Zettel in einem dieser Konvolute zeigt in seinem oberen Teil
eine flüchtige Zeichnung, deren Motiv an eine gotische Kreuzblume erinnert; daneben
findet sich ein Text, der sich allerdings mit einer anderen Formgestalt, der
eines ,,versteinerten Pinienbaums44 (,,stoned pine tree") und dessen Umrißform
des organischen Anschwellens und Überhängens, beschäftigt.

Im zweiten Abschnitt des Zettels sind in Schrift- und Bildnotiz diese beiden -
noch weit auseinanderliegenden — Formvorstellungen zu einer gemeinsamen vereinigt
, ist das Schlank-spirrige einer Kreuzblume mit der voluminöseren, organisch
kurvigen Umrißgestalt einer Pinie in Beziehung gebracht. In Anknüpfung
an die Bemerkungen zur Kontur der Pinie heißt es weiter: ,,Es muß nicht zwie-
belförmig sein, sondern kann sein Freiburg Münster (,,it need not be bulbons can
be Freiburg Münster").15 Die hierzu beigefügte Skizze gibt die Turmfassade des
Baues in spitzer Pfeilform. Die drei Geschoßabschnitte des Turmes sind dabei
durch Einzüge markiert; ihre Verschleifung miteinander ist, noch entschiedener
als beim Bauwerk selbst, durch konkave Kurvenübergänge angedeutet (Abb. 4).

Obrist führte damit in das Architektonische der gotischen Form die Vorstellung
des Organischen und zugleich Dynamischen ein. Eine solche Vereinung tek-
tonischer und vegetabilischer Formelemente bestimmt auch maßgeblich das Freiburger
Toporski-Grabmal, bei dem sich der Bildhauer gewiß auf jene, sicherlich
etliche Jahre früher entstandene Kompositionsidee des Skizzenblatts zurückbezog.
An dieser Stelle sind freilich die Anlehnungen, die Obrist zu Haeckels ,,Kunstformen
der Natur4 4 von 1899 verbanden, in Erinnerung zu bringen; der Freiburger
Grabmalaufsatz zeigt eine augenfällige Nähe zu den dort reproduzierten Formen
der Kleinstlebewelt (Abb. 5). Obrist verknüpft so die architektonische Vorstellung
mit einer organischen, naturentlehnten Auffassung der skulpturalen Formenbildung
. Die Verwandlung der toten Materie in eine lebendige, gleichsam prozeßhafte
Natur ist nicht nur in diesen Formenbildungen des skulpturalen Grabmalaufsatzes
(,,rythmic kopfstein" nannte Obrist solche bekrönenden Glieder am
Schluß des besprochenen Skizzen- und Notizblattes) veranschaulicht, sondern war
ursprünglich auch realiter durch die Bepflanzungen in dessen Öffnungen sinnfällig
unterstrichen (Abb. 2). Das Toporski-Grabmal steht damit beispielhaft für
Obrists programmatischen Anspruch auf ,,Sichtbarwerdung des Lebens im Material4
16 auf die Pneumatisierung der Skulptur mittels der Natur — und dies hier
gerade in der Auseinandersetzung mit der Gestaltform eines historischen Kunstvorbildes
.

Das Werk des Zürichers Hermann Obrist, der zu einer der zentralen Gestalten
des Münchener Jugendstils wurde und als ,,precurseur" vor allem aufgrund seines
Einflusses auf Hoelzel oder Kandinsky gilt, hat in der Beurteilung der entwicklungsgeschichtlichen
Stellung bis heute etwas Irritierendes behalten. Seine
Bindung an Traditionen des 19. Jahrhunderts, aber auch seine Vermittlerstellung
zu Künftigem können dabei auch am Beispiel dieses seines besonderen Gotikverständnisses
deutlich werden.

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