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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
107.1988
Seite: 241
(PDF, 38 MB)
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er habe seine Tat nicht aus politischen Gründen, sondern aus persönlichen Motiven
begangen, die mit homosexuellen Beziehungen verbunden gewesen seien. Nach einigem
Hin und Her kapitulierte man vor dieser Entwicklung, und im Mai 1942 wurde
der Prozeß „einstweilen" abgesagt und lebte nie wieder auf. Das Regime fürchtete
sich im Hinblick auf die Teilnahme der internationalen Presse am Prozeß vor einer
möglichen Panne.

Nach dem Kriege verliert sich die Spur Herschel Grünspans — sein weiteres
Schicksal ist so umstritten wie die Umstände seiner Tat. Das Amtsgericht Hannover
erklärte ihn 1960 für tot und zwar mit Datum vom 8. Mai 1945. Es gab aber auch andere
Nachrichten, wonach Grünspan später unter falschem Namen in Paris gelebt
haben soll.

b) Ermittlungen nach dem Ende des Dritten Reiches

Die polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Täter, die an den Ausschreitungen
der Reichskristallnacht beteiligt waren, konnten nach dem Zusammenbruch
1945 nur mit erheblichen Verzögerungen beginnen. Es sei an die Zerstörung
der Verkehrsverbindungen und des Postwesens, sowie die Behinderungen durch die
Zonengrenzen erinnert. Polizei und Justiz mußten neu aufgebaut werden, was mit erheblichen
Personalveränderungen und starkem Personalmangel verbunden war. Im
besonderen standen den Strafverfahren gegen die Täter vom November 1938 noch
weitere Hindernisse entgegen; vermutete Täter mußten in alliierten Internierungs-
lagern ausfindig gemacht werden, viele waren gefallen, vermißt, in Kriegsgefangenschaft
oder untergetaucht.

Bezüglich der Zeugen galten die gleichen Schwierigkeiten. Mehr noch als in normalen
Zeiten waren Zeugen dieser besonderen Vorgänge von Emotionen beherrscht,
sei es, daß sie Verdächtigte deckten, sei es, daß sie sie über Gebühr beschuldigten.
So, wie es im Dritten Reich Tausende von Denunziationen gegeben hatte, von denen
die meisten nicht zu einem Strafverfahren führten, genau so war es nach 1945 — in
entgegengesetzter Richtung. Durch Denunziationen wurden oftmals persönliche
Rechnungen beglichen. Als Beispiel sei der Gang eines Strafverfahrens geschildert,
das sich auf die Zerstörung der Synagoge eines Dorfes in Mittelbaden bezog. Die zuständige
Staatsanwaltschaft erhielt 1946 einen Brief aus New York mit schweren Beschuldigungen
gegen Einwohner dieses Dorfes, insbesondere gegen den ehemaligen
Bürgermeister und den Ortsgruppenleiter der NSDAP. Die Ermittlungen kamen in
Gang, und es stellte sich heraus, daß am Abend des 10. November 1938 die Synagoge
von SS-Leuten, vorwiegend Angehörigen der aus Österreichern bestehenden Grenzpolizei
, zerstört worden war. Eine Zeugin gab an, sie habe schon am Vormittag desselben
Tages von ihrer Wohnung aus den Bürgermeister, den Ortsgruppenleiter und
den Ratsschreiber gesehen, wie sie die Synagoge betreten und dort Verwüstungen angerichtet
hätten. Bürgermeister und Ortsgruppenleiter waren 1935 mehr oder weniger
freiwillig zu ihrem Amt gekommen, dem Bürgermeister hatte man nahegelegt, auch
in die Partei einzutreten. Beide waren Landwirte und betrieben im Hauptberuf ihre
Landwirtschaft. Beide waren von der Besatzungsmacht sofort nach der Kapitulation
interniert worden. Alle anderen Zeugen, also die Dorfbewohner, unter ihnen eine
Frau, die im Synagogengebäude selbst wohnte, hatten nichts gesehen und gehört;

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