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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 166
(PDF, 29 MB)
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Staatsanwaltes eine Anerkennung moralisch siegreicher Kraft der sozialdemokratischen
Agitation? Hier sehen Sie, wie man bereits vor uns zittert da oben."

Auf dieser Erkenntnis von der Schwäche des Systems aufbauend, kann nach den
Worten Rosa Luxemburgs noch eine zweite, weitergehende Lehre aus dem Prozeß
von Frankfurt gezogen werden. Die panische Überreaktion gegen den Fechenheimer
Aufruf entblöße ungewollt den wunden Punkt der kapitalistisch-militaristischen Ordnung
: die Angst vor der Verweigerung der Massen. Wenn diese Massen, „von der
internationalen Sozialdemokratischen Lehre durchleuchtet", der staatlich-gesellschaftlichen
Maschinerie die Gefolgschaft versagten, zerbreche nach den Worten
Rosa Luxemburgs in Freiburg nicht nur das unheilvolle Militärwesen, sondern mit
ihm auch die gesamte verhaßte Klassengesellschaft. Das „Veto des Volkes", das jene
„politische Gewalt, vor der alle Bajonette zusammenbrechen werden" ausmache,
liege in der kollektiven, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfassenden Gehorsamsverweigerung
des Volkes.

Es ist Rosa Luxemburgs immer blanke Waffe des politischen Massenstreiks,59 die
sie in Freiburg erneut wetzt. Zuvor hatte sie bereits in ihrer Verteidigungsrede vor
der Frankfurter Strafkammer eindrucksvoll veranschaulicht, „daß die Welt [. . . ]
nicht vierundzwanzig Stunden zu existieren vermag, wenn die Arbeiter einmal die
Arme kreuzen".60 Hatte sie vor Gericht noch etwas verhalten darauf verwiesen, daß
„Massenstreiks als bestimmte Periode in der Entwicklung der heutigen Verhältnisse
nicht ,gemacht' "61 würden, d. h. von Parteien oder Gewerkschaften oder einer Einzelperson
ausgerufen werden könnten, so kann die Freiburger Rede am 7. März 1914
als ein Versuch gewertet werden, der klassenbewußt gewordenen Arbeiterschaft jetzt
die Waffe des politischen Massenstreikes in die Hand zu geben, um damit der bestehenden
Ordnung den Kampf anzusagen.

Die Wirksamkeit eines solchen Streikes stand für Luxemburg seit jeher außer
Frage. Die Möglichkeiten der kollektiven Verweigerung auch im antimilitaristischen
Kampf hatte sie 1911 am Beispiel des türkisch-italienischen Krieges erkannt. „In der
Türkei und in Italien gibt es große arbeitende Massen, [. . . ] diese Massen haben kein
Interesse an diesem Krieg. Der Generalstreik in Italien war ein Protest gegen den
Krieg."62 Auch in Frankfurt verwies die Sozialistin auf das Beispiel Italien: „Wie
haben die klassenbewußten Arbeiter dort das tripolitanische Kriegsabenteuer beantwortet
? Durch einen Demonstrationsmassenstreik, der aufs glänzendste durchgeführt
wurde."63

Auf eine verkürzte Formel gebracht, ist für Rosa Luxemburg in Freiburg der probateste
und erfolgversprechendste Weg zur Beseitigung von Militarismus und Klassengesellschaft
der politische Massenstreik, der durch das von agitatorischer Seite
geschärfte Bewußtsein der Massen von selbst entsteht, somit auf einer sowohl personell
wie ideologisch stabilen Basis fußt und derart gestärkt der herrschenden Ordnung
gegenübertritt, um sie ein für allemal zu vernichten. Dieser Triumph, so macht
Rosa Luxemburg am Ende ihrer Rede deutlich, werde unweigerlich errungen werden,
obwohl derzeit noch „Mars, der blutige Kriegsgott, die Stunde" regiere, die Macht
noch bei denjenigen liege, „die sich allein auf einen Wald von Mordwaffen stützen",
und noch immer „das Volk bis auf den letzten Tropfen ausgesogen [wird] durch den
nimmersatten Moloch Militarismus". Aber, so zitiert sie den literarischen Wallen-

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