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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 168
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zu Tode gekommen und danach von den Tätern zum Schein in die Schlinge gehängt
worden war. „Was auch da passiert ist", resümiert Rosa Luxemburg in Freiburg den
Vorfall, „eines ist klar: Es ist sicher eins von den unzähligen Dramen, die in den
deutschen Kasernen tagaus, tagein sich abspielen und wo nur selten das Stöhnen der
Gepeinigten zu unseren Ohren dringt".

Der preußische Kriegsminister General Erich von Falkenhayn nahm diese Äußerung
Rosa Luxemburgs zum Anlaß, um vor dem Berliner Landgericht einen erneuten
Prozeß gegen die sozialdemokratische Agitatorin anzustrengen. Diesmal lautete die
Anklage, „durch eine Volksversammlungsrede am 7 März 1914 zu Freiburg i. Br. die
Offiziere und Unteroffiziere des preußischen Heeres durch Anführung nicht erweislich
wahrer Tatsachen öffentlich verächtlich gemacht zu haben".68 Interessanterweise
stützte sich die Anklage nicht auf die von den badischen Polizeibehörden mitstenographierten
Protokolle der Freiburger Versammlung, sondern auf den Artikel in der
„Volkswacht"69 Als dieser am ersten Verhandlungstag, dem 29, Juni 1914, im Prozeßsaal
verlesen wurde, erklärte Rosa Luxemburg bestätigend, daß er „im allgemeinen
zutreffend sei".70 Die Sozialdemokratin hatte keinen Grund, die Anklage abzustreiten
. Im Gegenteil, der erneute Prozeß kam ihr sehr recht. Er gab ihr die
Möglichkeit, vor einer breiten Öffentlichkeit die Exzesse in den deutschen Kasernen
an den Pranger zu stellen und im direkten Kräftemessen mit dem Militarismus im
Berliner Gerichtssaal einen entscheidenden Propaganda-Sieg zu erringen. Am
13. Mai 1914 schrieb Rosa Luxemburg an ihren Freund und Anwalt Paul Levi nicht
ohne Seitenhiebe auf die antimilitaristische Untätigkeit der eigenen Reichstagsfraktion
: „Liebling, denk Dir, wie famos! Es ist ein Strafantrag des Kriegsministers von
Falkenhayn wegen Beleidigung des Offiziers- und Unteroffizierskorps, weil ich in der
Freyburger Versammlung am 7 März gesagt habe, die Soldatenmishandlungen [sie]
stehen auf der Tagesordnung. [. . .] Ich habe natürlich zugegeben, die Äusserungen
gethan zu haben u. zwar, um den Leuten den Rückzug abzuschneiden. [. . .] Denk
Dir, was man alles bei solchen Verhandlungen an Material ausbreiten u. wieder gut
machen kann, was unsere Esel im Reichstag versäumt haben!"71

Das Material, von dem Luxemburg spricht, kam schnell zusammen. Auf Anregung
verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen, darunter auch der Freiburger „Volks-
wacht",72 mobilisierte die sozialdemokratische Presse unter der Uberschrift „Gegen
die Militärmißhandlungen Zeugen heraus!"73 noch vor Prozeßbeginn Hunderte von
Zeugen, die die von Rosa Luxemburg in Freiburg verurteilten Mißhandlungen am eigenen
Leib erfahren hatten. Bis zum zweiten Verhandlungstag am 30. Juni 1914, an
dem die Verteidiger Levi und Rosenfeld einige der Fälle namentlich aufführten, lagen
ihnen allein 922 Zeugenaussagen vor, insgesamt sprachen sie von über 30 000 bekannten
Fällen.74

Der Berliner Prozeß endete mit einem schweren Debakel für die Ankläger. Unter
dem Vorwand, die Zeugenaussagen prüfen und, so sie noch nicht verjährt seien, zur
Klärung an die Kriegsgerichte zu überweisen, stellte die Staatsanwaltschaft am 3. Juli
den Antrag auf Vertagung des Prozesses; das Verfahren sollte nie wieder aufgenommen
werden,75 Die Sozialdemokraten feierten das vorzeitige Ende des Falles als
einen erneuten Schwächebeweis des angeschlagenen militaristischen Systems. „Eine
solche Niederlage hat der preußische Militarismus noch nicht erlebt."76

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