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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 172
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1992/0174
Wie Rosa Luxemburg spricht auch Engler vom „Kampf der Sozialdemokratie, der
ein „langer und langwieriger" sei. Daß er dabei einen ganz anderen, nicht den klassenkämpferischen
, sondern den parlamentarischen Kampf meint, erwähnt der badische
Pragmatiker nicht. Wie er Rosa Luxemburgs Rolle in diesem Kampf sieht, muß
angesichts der tiefgreifenden Entfremdung zwischen beiden verwundern: „So lange
sich in der sozialdemokratischen] Arbeiterbewegung Leute finden, die mit so hohem
Mut, wie die Genossin Luxemburg, Opfer auf sich nehmen, so lange können wir getrost
in die Zukunft schauen."91

Diese Äußerung Englers scheint mehr der sympathisierenden Stimmung unter den
Versammlungsteilnehmern entsprungen zu sein denn einer echten Überzeugung.
Glaubhafter ist jene abfällige Einschätzung, die Engler später in einem kurzgehaltenen
Rückblick über das Freiburger Ereignis zu Papier brachte, Rosa Luxemburgs
Rede in der Festhalle im Stadtgarten, ihr Abheben vor allem auf die internationale
Solidarität, habe jeder echten Grundlage entbehrt: „Sie bezeichnete die Welt als ihr
Vaterland des Proletariats. Als Jüdin in Rußland geboren, konnte sie kein Empfinden
für ein Vaterland haben, sie war heimatlos. Wer aber eine Heimat hat, der empfindet
anders."92

Nicht nur Wilhelm Engler sprang im Februar 1914 in Baden über seinen ideologischen
Schatten und erklärte sich, trotz tiefer Differenzen, solidarisch mit der verurteilten
Rosa Luxemburg. Nur einen Tag nach der Freiburger Rede sprach Rosa Luxemburg
auf einer Protestversammlung in der städtischen Festhalle zu Karlsruhe.93
Geleitet wurde diese vom SPD-Landtagsabgeordneten und Herausgeber des „Volksfreundes
" Wilhelm Kolb, einem langjährigen erbitterten Gegner Luxemburgs in der
Strategie-Debatte, Es war die erneute Budgetbewilligung der SPD im badischen
Landtag vom Juli 1910 gewesen, deretwegen es auf dem Parteitag in Magdeburg im
September zum offenen Bruch zwischen den beiden Sozialdemokraten gekommen
war. Rosa Luxemburg hatte dort die Rechtfertigung Kolbs und seiner badischen Parteifreunde
, man habe mit dem Großblock weitreichende sozialpolitische Errungenschaften
im Gesundheitswesen und anderswo erzielt, als Augenwischerei und Scheinerfolge
abgetan. „Die Genossen im badischen Landtag [. . . haben] schließlich doch
immer nur Lappalien errungen, sie haben nach Goldschätzen gegraben und waren
froh, wenn sie Regenwürmer fanden."94

Auf diesen Vorwurf reagierte Kolb später in seiner sozialdemokratischen Hauspostille
in Karlsruhe, dem „Volksfreund". In seinem Artikel legte er dabei den Finger
genau in die Wunde der Luxemburgschen Argumentation. Wie könne der radikale
Flügel der Partei einerseits die Kandidatur der SPD zu den deutschen Parlamenten
fordern, andererseits sich dort jeder pragmatischen Arbeit entziehen? „Entweder -
oder! Entweder man stellt sich auf den Boden des Parlamentarismus und zieht die
daraus sich ergebenden politischen Schlußfolgerungen, oder man verzichtet auf ihn,
dann muß man aber den Mut zur entgegengesetzten Konsequenz haben. Das Dazwi-
schenherum-Pendeln aber führt zur politischen Verwirrung und zu schweren inneren
Kämpfen, wie wir sie seit vielen Jahren haben"95 Wer sich für den parlamentarischen
Weg entscheide, müsse zwangsläufig auch tagespolitische Kleinarbeit leisten.
„Unsere ganze politische Tätigkeit im Reich, in den Einzelstaaten und in der Gemeinde
kann praktisch eben gar nichts anderes sein, als eine ,Schatzgräberei4 nach

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