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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0173
Als die Heimat zur Fremde wurde

Von

David Maier

Als ich im Dezember 1921 in Freiburg im Breisgau zur Welt kam, spürte man in der
Stadt, wie überhaupt in diesem Teil Süddeutschlands, verhältnismäßig wenig vom
stürmischen Anfang der Weimarer Republik. Gewiß sah man Aufmärsche, las Proklamationen
, hörte Sprechchöre, nahm Kenntnis von politischer Begeisterung. Aber
Putschversuche ehemaliger Offiziere, Bierkellerverschwörungen, staatsfeindliche
Mordanschläge — derartige Ereignisse waren anderswo zu erleben. Allerdings traf
dann die Inflation auch hier eine Anzahl anständiger Leute (ebenso wie ein paar rücksichtslose
Spekulanten) recht hart. Insgesamt aber hoffte die in der Mehrzahl der
katholischen Kirche angehörige Bevölkerung Freiburgs, daß bald die Folgen des
Krieges überwunden sein und ruhigere Zeiten eintreten würden. Dies galt auch für
die ungefähr 14ÜÜ Seelen zählende israelitische Religionsgemeinde. Ihre Mitglieder
waren hauptsächlich im Einzelhandel oder sonst als Geschäftsleute tätig. Daneben
gab es unter ihnen Akademiker, Künstler, Mediziner, Rechtsanwälte, Architekten und
im Staatsdienst stehende Fachleute wie meinen Vater, der Professor an der dortigen
Rotteck-Oberrealschule war.

Er war ein Mann von geistiger und charakterlicher Größe, ganz dem Wohl seiner
Familie, seiner Arbeit, seinem jüdischen Glauben gewidmet und verbunden mit seiner
Heimat, die ihn dann eines Tages verleugnete.

Löb David Maier wurde am 31. Januar 1884 in Malsch bei Ettlingen als Sohn von
Landjuden geboren. Die Familie war schon seit mehreren Generationen in dieser Gegend
ansässig. Wie sie ursprünglich dorthin kam, ist heute nicht mehr leicht festzustellen
. Sicher ist, daß der erste Ankömmling unter dem Druck judenfeindlicher Bestimmungen
von Osten her zugewandert war — von Bayern vielleicht oder sogar von
einem weiter östlich gelegenen Gebiet. Möglicherweise gab es dort eine lästige Koscherfleischsteuer
oder eine Judenheiratssteuer, vielleicht bestand überhaupt eine
Anordnung, die nur je einem Sohn jüdischer Eltern das Recht zur Ehe zusagte. Jedenfalls
waren sie nun hier zu Hause, fleißig und ehrlich als Vieh™ oder Lederhändler
tätig und recht angesehen bei ihren Mitbürgern, zumeist Bauern. Diese wußten ihre
guten Ratschläge und ihre Rechtschaffenheit im Geschäftsverkehr zu schätzen. Die
beiden Religionsgemeinschaften, die christliche Mehrheit und die kleine israelitische
Gemeinde, kamen sich durchaus tolerant entgegen. Löb erinnerte sich etwa daran,
wie die Bevölkerung des Dorfes am Vortag des jüdischen Neujahrsfestes öffentlich
dazu aufgerufen wurde, die Bürgersteige vor den Häusern zu säubern, „weil die Juden
morgen einen Feiertag haben".

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