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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1993/0220
der Verlust an Orientierung, der weite Kreise nach dem Zusammenbruch des Kaisereiches erfaßte
. Die Deutschnationalen — mit ihrer hiesigen Spielart der Christlichen Volkspartei -
stießen mit ihrem Identitätsangebot in dieses Vakuum und fanden bei den Protestanten, vorab
im Bürgertum, beträchtliche Resonanz. Aber auch in der Arbeiterschaft gärte es. Die Mehrheitssozialdemokratie
verlor rasch an Vertrauen, sie wurde für das Versagen des neuen Staates
bei der Krisenbewältigung verantwortlich gemacht. Deklassierungs- und Demoralisierungstendenzen
führten zu Einstellungsänderungen und verstärkten die Unsicherheit. Der Ortspiar-
rer, von sozialdemokratischen Arbeitern spöttisch „Manschettenplkrrer" genannt (S. 219), und
die Mehrheit der Kerngemeinde verweigerten sich in ihrer deutschnationalen Ausrichtung
einem Dialog mit der organisierten Arbeiterbewegung. Ein Versuch von Arbeitern, eine Ortsgruppe
der religiös-sozialistischen Volkskirchlichen Vereinigung ins Leben zu rufen, wurde
vom Pfarrer brüsk zurückgewiesen und verlief dann nach mehrmaligen Anläufen im Sande.
So ist es nicht verwunderlich, daß St. Georgen schließlich, worauf Anschütz mehrfach hindeutet
, auch eine Hochburg des Nationalsozialismus werden sollte. Vielleicht trug aber dieses
SpannungsVerhältnis zwischen Arbeiterschaft und Protestantismus dazu bei. daß nach 1933
ein Großteil der Kerngemeinde auf Distanz zur NSDAP ging und sich — gegen den Pfarrer
— der Bekennenden Kirche zuwandte. — Die Untersuchung beeindruckt durch ihren Material -
und Detailreichtum, der allerdings nicht immer übersichtlich ausgebreitet wird, sowie durch
die Verbindung von Kirchen-, Theologie- und Sozialgeschichte. Nicht scharf genug sieht der
Autor wohl die Möglichkeit, die lokalen Lebens weiten als Schnittpunkte von Individuellem
und Strukturellem zu erforschen (vgl. S. 305). Sonst hätten durch eine präzisere Analyse von
Alltagskultur, Festen, Organisationen oder „Milieus" — all das wird durchaus angesprochen
und durch anschauliche Abbildungen dokumentiert — vermutlich noch genauere Aussagen
über den Zerfall überkommener gesellschaftlicher Zusammenhänge, über die Wandlungen in
Bewußtsein, Denken und Verhalten erfolgen können. Für die weitere Erforschung der Um-
bruchjahre nach dem Ersten Weltkrieg wird die Arbeit gerade im Vergleich mit anderen Lokal-
und Regional Studien ihren Nutzen erweisen. Heiko Haumann

Die „Franzosenzeit" im Lande Baden von 1945 bis heute. Zeitzeugnisse und Forschungsergebnisse
. Hg. von JOSEPH Jurt. Rombach Verlag, Freiburg i. Br. 1992. 165 S.? zahlr. Abb.

Dieser Band beruht auf den Referaten eines Kolloquiums, daß das Frankreich-Zentrum der
Freiburger Universität in Zusammenarbeit mit dem Institut Fran^ais de Fribourg-en-Brisgau
am 7./8, Mai 1991 in Freiburg veranstaltete. Im ersten Teil tragen zunächst Peter Fässler und
Edgar Wolfrum Aspekte ihrer Arbeiten im Rahmen eines Forschungsprojektes über das Land
Baden zwischen 1945 und 1952 vor. Dabei können sie einige bisher vorherrschende Auflassungen
zurechtrücken. So zeigt Wolfram in seinem Beitrag über Alltagserfahrungen in der französischen
Besatzungszone, daß die Besatzungsmacht zwar mit Widersprüchen, aber doch ernsthaft
eine „Selbstreinigung44 der Deutschen auf dem Weg zur Demokratie fordern wollten,
demokratische und dezentralistische Neuansätze unterstützte und eine erstaunliche kulturelle
Blüte ermöglichte, die im Zusammenhang mit dem Konzept zur Umerziehung der Deutschen
und zur Annäherung beider Völker zu sehen ist. Die Kluft zur Alltagserfahrung von Hunger,
Elend, Demontage und harten Anordnungen blieb jedoch zu groß, so daß die Vorhaben bald
an ihre Grenzen stießen und sich letztlich ein negatives Bild von der „Franzosenzeit" einprägte
. Fässler analysiert die Neuordnungsvorstellungen auf badischer Seite, die im „Musterland
" eine Reihe von „Sonderwegen" gegenüber den übrigen Zonen beinhalten: namentlich
bei der Entnazifizierung, in der Bildungs- und Sozialpolitik, bei der Frage nach der Mitbestimmung
in der Wirtschaft und schließlich bei den dezentral-föderalistischen Überlegungen
zum staatlichen Neuaufbau. — Christian Wrobel behandelt die Informationspolitik und die
Medien im Baden der Nachkriegszeit. Deutlich wird auch hier, daß die Franzosen versuchten,

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