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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1994/0019
terlicher Vorstellung bedeutete das Vergegenwärtigung, wurde also als eine Form der
Uberwindung des Todes verstanden. Diese Memoria begegnet in erster Linie im
Hochgebet (Kanon) der Messe, wenn einzelne Verstorbene namentlich und zusammen
mit allen Toten der Güte Gottes empfohlen werden. Als Memoria lassen sich
darüber hinaus der Gesamtbau wie seine Teile verstehen: Frauen und Männer haben
Kirchen und Klöster, Spitäler, Altäre, farbige Fenster sowie ewige Lichter gestiftet
mit der Absicht, nach ihrem Tod von Gott und den Menschen nicht vergessen zu werden
(vgl. Nr. 106). Der Münsterschatz birgt liturgische Geräte und Gewänder, an denen
sich diese Aussage verdeutlichen läßt: 1347 stiftete Johannes Snewlin-Gresser einen
Kelch mit seinem Wappen; in diesem wollte der Stifter auch nach seinem Tode
gegenwärtig sein, wenn der Kelch bei der Meßfeier das Blut Christi aufnahm (Kunstepochen
, Nr. 56, S. 107 und Abb. 23; 100 Jahre Münsterbau verein, Nr. 20, S. 109 mit
Abb.); von einem roten Ornat heißt es: „ein herrliches Denkmaal, welches unsern
besten Fürst und Abt [Martin IL Gerbert] bey unseren Nachkömlingen unvergesslich
machen wird" (St. Blasien Nr. 88, Bd. I, Nr. 188, S. 235ff.). Die Wappen einzelner
Personen (Tulenhaupt), Gruppen (Bäcker-, Schmiede-, Schneiderzunft) und einer
Dynastie (habsburgische Herrscher im Chor) schmücken farbige Fenster, in denen
die Stifter weiterleben wollten.

Die Kirche ist immer reformbedürftig, der Gottesdienst immer auch Ausdruck seiner
Zeit. In dem Maße, wie die Formen der Frömmigkeit wechselten, wurden die
Gebäude und deren Inneres modifiziert. Das zeigen z. B. Zahl und Platz der Altäre
im Münster (vgl. W. Müller, Nr. 31) sowie der den Chor zeitweilig vom Hauptschiff
trennende Lettner; wie eine solche Schranke wirkte, kann man noch heute im Breisa-
cher Münster sehen. Im Gefolge der vom Zweiten Vatikanischen Konzil beschleunigten
Liturgiereform (die einschlägigen Texte sind in Nr. 139 leicht zugänglich) wurde
das Eisengitter vor dem Hauptaltar entfernt und dieser nah an die Gemeinde gerückt;
er steht seit 1988/89 in der Vierung (H. Triller in 100 Jahre Münsterbau verein, Nr.
20, S. 82 ff.).

, Summe4 und Gesamtkunstwerk

Das Mittelalter hat eindrucksvolle Synthesen hervorgebracht, u. a. die ,Summe der
Theologie4 des Thomas von Aquin, die ,Legenda Aurea4 des Jacobus de Voragine sowie
Dantes ,Göttliche Komödie4; als Summe läßt sich auch die gotische Kathedrale
verstehen. Brennpunktartig verdichtet sie das Streben und Können der Menschen im
von Rom geprägten Abendland: Von Frömmigkeit und Heiligenverehrung bis zur
Mutter-Kind-Beziehung, von Herrschaftszeichen und Recht bis zum mittelalterlichen
Weltbild, von Kleidung und Mode bis zu Handwerk, Statik und Technik.

Da uns die Sprache von Skulpturen, Kirchenfenstern, Malereien, von Gesten, Proportionen
und Zahlen weniger vertraut ist als früheren Generationen, brauchen wir
,Schlüsser. Aus der Welt der Heiligen kennen die meisten Zeitgenossen noch einige
Festtage (Martin, Nikolaus, Silvester), vielleicht auch Attribute (Petrus mit den
Schlüsseln, Paulus mit dem Schwert); anderes lebt in säkularisierter Form weiter,
wenn man sich dessen auch weniger bewußt sein mag: das ,Andreaskreuz4 an Bahnübergängen
, die Jakobsmuschel im Signet einer Mineralölfirma. Willkommen sind

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