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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
115.1996
Seite: 220
(PDF, 35 MB)
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rieht sind sechs Prozent zu konstatieren.49 Bezüglich des Sondergerichts Stuttgart
lassen sich knapp sieben Prozent berechnen.50 Die Vergleichsangabe für die zeitweise
bis zu neun Sondergerichte Berlins beläuft sich auf sechs Prozent, allerdings
für den Zeitraum 1933—1945,51 Tatsächlich wurde in den Kriegsjahren 1941—1945
jeder achte vor dem Berliner Sondergericht Angeklagte zum Tode verurteilt.52

Die Zahlen mögen nüchtern klingen. Was sich hinter diesen an Schlächterei verbirgt
, schildert Harald Poelchau, der als Gefängnispfarrer in Plötzensee an manchen
Tagen 30 bis 40 Hinrichtungen mitansehen mußte:

„Ein großer schwarzer Vorhang, der durch eine Ziehvorrichtung schnell aufgerissen
und wieder geschlossen werden konnte, teilte den Hinrichtungsschuppen in zwei
Teile. In dem kleineren Raum hatte man die Guillotine aufgestellt, die so zunächst
den Blicken entzogen war. Im größeren Raum stand der Richtertisch mit dem Kruzifix
. Das Kruzifix mußte in den späteren Jahren entfernt werden ... Der gefesselte
Delinquent wurde mit entblößtem Oberkörper in den Hinrichtungsschuppen geführt.
Nach der Verlesung des Urteils in Gegenwart der üblichen Zeugen wandte sich der
Staatsanwalt an den Scharfrichter mit der feststehenden Formel: ,Scharfrichter, walten
Sie Ihres Amtes!4 Nun erst riß der Scharfrichter mit einem harten Ruck den
schwarzen Vorhang auf. Niemals werde ich dieses knirschende Geräusch vergessen
können! Jetzt wurde die Guillotine im Schein des elektrischen Lichtes sichtbar. Der
Verurteilte hatte sich an ein hochgeklapptes, am Kopfende ausgekehltes Brett zu stellen
. Ehe er sich besinnen konnte, warfen ihn die Henkersknechte auf das Brett, das
in einem Scharnier befestigt war und um neunzig Grad umschlug. Der Delinquent
kam mit dem umgeklappten Brett blitzschnell in eine Lage, in der sich sein Kopf genau
unter dem Fallbeil fand. Es war die ,Kunst" der Gesellen, die Länge des Opfers
vorher richtig einzuschätzen. In derselben Sekunde drückte der Scharfrichter auf den
Knopf, Das Fallbeil sauste herab, der Kopf des Verurteilten flog in einen bereitgestellten
Weidenkorb. Der Blutverlust war ungeheuer, die Beine des Sterbenden zuckten
jedesmal so zusammen, daß die Holzpantinen im weiten Bogen fortgeschleudert wurden
. Der Scharfrichter zog nun, mit der gleichen Hast, den schwarzen Vorhang vor
dem furchtbaren Bild zu. Wieder der knirschende Laut, der uns unter die Haut drang!
In strammer militärischer Haltung meldete der Scharfrichter: ,Herr Oberstaatsanwalt
, das Urteil ist vollstreckt!4"53

Die Hinrichtungen wurden von den drei Scharfrichtern Röttger aus Berlin, Reindel
aus Magdeburg und Reichhart aus München durchgeführt, die alle aus alten Scharf-
richterfemilien stammten. Ihnen wurden ab 1940 mehrere zusätzliche „Parteihenker"
zur Seite gestellt, weil, so Reichhart später, „die drei bisherigen den Anforderungen
des Molochs Staat, der Ströme von Blut fließen ließ, nicht mehr gewachsen waren
".54 Reichhart, der sein blutiges Handwerk auch in Stuttgart und Bruchsal ausübte
, hatte nach eigenen Tagebucheintragungen allein in den Jahren 1940 bis 1945 insgesamt
2.805 Hinrichtungen durchgeführt.55 Er war so vielbeschäftigt, daß er beim
Verkehrsministerium um eine Ausnahmegenehmigung von der Höchstgeschwindigkeit
ersuchte.56

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