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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
116.1997
Seite: 231
(PDF, 57 MB)
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weichliche Konfrontation mit den dramatischen sozialen Folgeproblemen des modernen
„Industrialismus" verstärkte Ronges tiefe innere Distanz gegenüber dem
überkommenen römisch-katholischen Kirchenchristentum. Beeinflußt durch Texte
französischer „Frühsozialisten" und die politische Theologie der protestantischen
Rationalisten, gab er seinem religiösen Kampf für Gewissensfreiheit in der Kirche
zunehmend auch einen politischen Akzent.16 Für Ronges Kritik an der „tyrannischen
Herrschaft der römischen Hierarchie" und sein Engagement für eine deutschkatholische
Nationalkirche spielten neben genuin religiösen Motiven politisch-soziale Reformforderungen
eine zentrale Rolle. Wie das Verhältnis von religiös-kirchlichen
und politischen Elementen im Einzelnen zu gewichten ist, wird in der neueren
Deutschkatholizismus-Forschung kontrovers diskutiert.17

Bis zum Herbst 1844 blieben die Auseinandersetzungen um Ronge auf eine rela-
tiv kleine lokale bzw. regionale Öffentlichkeit beschränkt. Innerhalb weniger Wochen
wurde der suspendierte schlesische Provinzkaplan dann aber einer nationalen
Öffentlichkeit bekannt. Nach den Auseinandersetzungen mit den Breslauer Kirchenbehörden
hatte Ronge nur auf einen Anlaß gewartet, um seine Kritik an der „Unterdrückung
der deutschen Nation" durch Rom und an den „Machtgelüsten" der Hier-
archie in eine größere Öffentlichkeit tragen zu können. Diesen Anlaß bot ihm der Bischof
von Trier, Wilhelm Arnoldi, der durch seinen Generalvikar im Juli 1844 die
Ausstellung des „ungenäheten h. Rockes Jesu Christi", der berühmtesten und kostbarsten
Reliquie des Trierer Doms, anordnen ließ. Die Ausstellung des „ungenäheten
Rockes", der als ein Symbol der Einheit der Kirche galt, dauerte vom 18. August bis
zum 6. Oktober 1844. Nach den Berechnungen Wolfgang Schieders führte sie
563 000 Pilger in die kleine Bischofsstadt, in der damals nur rund 15 000 Menschen
lebten. Zudem fand die Rockwallfahrt, die „größte organisierte Massenbewegung
des deutschen Vormärz",18 „in der zeitgenössischen Publizistik ein Echo, wie es innerhalb
der ersten Jahrhunderthälfte wohl nur noch im Umkreis der napoleonischen
und antinapoleonischen Propaganda und schließlich im Bereich jener politischen
Bewegung zu finden ist, die durch Joseph Görres' Kampfschrift Athanasius aus den
Kölner Wirren entstand. Zahllose selbständige Flugschriften für und gegen die Wallfahrt
erschienen, die Zahl der Zeitungsartikel ist Legion."19 Vor allem in liberalprotestantischen
Kirchenzeitungen und in der Presse des politischen Liberalismus wurden
neben den spezifisch religiösen Aspekten auch die kirchlich-politischen Intentionen
vielfältig analysiert, die die römisch-katholische Hierarchie und insbesondere
der Trierer Bischof mit der demonstrativen Ausstellung des „Heiligen Rockes" verbanden
. In der Tradition der Kritik an „Volksfrömmigkeit" und „Wallfahrtswesen",
die schon die aufgeklärten Bildungseliten des 18. Jahrhunderts formuliert hatten,20
vermochten die vormärzlichen Liberalen die Reliquienverehrung und die Wallfahrten
des „katholischen Volkes'* nur als eine religiös obsolete und kulturell regressive,
„mittelalterliche" bzw. „unaufgeklärte" Handlungsweise zu deuten. Den unerwartet
großen Erfolg der Rockausstellung führten sie darauf zurück, daß der Klerus das
Kirchenvolk manipuliert und durch falsche Versprechungen zur Wallfahrt verlockt
habe. Für die finsteren Drahtzieher in den Kreisen der „Hierarchie" seien keineswegs
nur religiöse, sondern auch politische Machtinteressen ausschlaggebend gewesen:
Mit den Wallfahrten nach Trier habe die Hierarchie das „Kirchenvolk" wieder stär-


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