Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 127
(PDF, 59 MB)
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Hungersnot das Land, die Millionen Menschen das Leben kostete.25 Der Schwerpunkt
der Hungersnot lag in der Ukraine, im Schwarzerdegürtel, dem fruchtbarsten
Gebiet des Landes.26 Simeon Dmitrewski erinnert sich noch daran, wie aus dem
Raum nördlich des Schwarzen Meeres zahllose Flüchtlinge auch zu ihnen in die
Großstadt zogen, um dort eine Überlebenschance zu suchen.

Mitte der dreißiger Jahre wurden die Lebensbedingungen allmählich wieder normal
, ja es waren im wirtschaftlichen Bereich sogar langsam Aufwärtstendenzen festzustellen
. Die Eltern mussten zwar hart arbeiten, sagt Simeon Dmitrewski, „aber für
alles, was wir - meine Schwester und ich - brauchten, war's genug". Das tägliche
Leben verlief - im Rückblick - aus der Sicht des Jugendlichen problemlos. Die
Dmitrewskis lebten in Leningrad auf der Wassili-Insel, umströmt von Großer und
Kleiner Newa, gegenüber dem Stadtzentrum mit Winterpalais und Admiralität auf
der einen Seite und der Peter-und-Pauls-Festung auf der anderen. Hier liegen auch
die Gebäude der Akademie der Wissenschaften samt ihrer Bibliothek, wo sich damals
der Arbeitsplatz des Vaters befand. Die Familie wohnte „in der zweiten Linie"
- so hießen die Straßen dort - an der Ecke zum Bolschoi Prospekt, und hier hatte
sich ein regelrechtes Quartiermilieu herausgebildet. Simeon gehörte einer Gruppe
von Jugendlichen an, die zumeist aus demselben Haus stammten. Hinter dem Haus
verlief eine Gasse, und auf der gegenüberliegenden Seite wohnten die „Erzfeinde",
„mit denen wir also immer Fehde hatten". Und natürlich war Simeon in der Schule
Mitglied der „Pioniere" geworden, der Jugendorganisation, die vom Kommunistischen
Jugendverband, dem „Komsomol", betreut wurde; diesem konnte man mit 14
Jahren beitreten. „Ich trug auch mit Stolz das rote Halstuch." Im Sommer fuhr die
Gruppe ins Pionierlager, im Winter gab es interessante Exkursionen, Besuche von
Museen und Theatern. Daneben konnte man sich je nach Interessensgebiet an verschiedenen
Zirkeln beteiligen. Simeon sammelte Briefmarken, zumal er sich leidenschaftlich
gern über andere Länder informierte und Geographie sein Lieblingsfach
war. Die Erinnerung an die „heroische Periode"27 der Sowjetgeschichte - die Zeit
des Bürgerkrieges - fand durchaus bei den Jugendlichen Anklang. Sie begeisterte
sich für den kämpferischen Einsatz der damaligen Generation und wollte ihn auch
erleben:28 Simeon weiß noch, wie er mit seiner Klasse den 1933/34 gedrehten Film
über Tschapajew und die heldenhaften Taten der Roten Armee im Kino sah.29 Sie
hatten Schleudern dabei, und als die „Weißen", die gegenrevolutionären Truppen,
Tschapajew angriffen, schössen die Kinder damit auf die Leinwand, um beim Kampf
gegen die Feinde zu helfen. Hier wurden die Wurzeln für einen Sowjetpatriotismus
gelegt, der in den folgenden Jahren immer stärker seines revolutionären Inhalts entkleidet
werden sollte.30

An den Feiertagen zur Erinnerung an die Oktoberrevolution, zum 1. Mai, zum Internationalen
Frauentag - mit dem zugleich dem Beginn der Februarrevolution gedacht
wurde - gab es besondere Veranstaltungen in der Schule, in denen Vertreter
der Kommunistischen Partei oder des Jugendverbandes über den Anlass berichteten.
„Das haben sie uns alles erzählt, und wie wir jetzt gut feiern können. Das ist jetzt
also unser gutes Recht, das haben wir erkämpft, jetzt arbeiten wir, dass wir besser
leben können. Und wir waren alle mit Herz und Verstand dabei." Zu Hause wurden
allerdings auch noch die katholischen Feiertage begangen: Die Mutter blieb ihrem

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