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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 277
(PDF, 59 MB)
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Alfred Döblin, der zum Katholizismus konvertierte Emigrant, der zurückgekehrt
war in ein Land, das keine Emigranten liebt, formuliert seine Befunde härter. Da sitzt
er also in der Uniform eines französischen Kulturoffiziers in Baden-Baden und
schreibt: „Was man hier im Lande zu lesen bekommt, ist im Unterschied zu den Produkten
am Ende des vorigen Weltkriegs weder inhaltlich revolutionär, noch neu im
Formalen. Mir ist einiges in Gedichtform, aber nicht originell, bestimmt nicht stürmisch
und gar nicht mit Zukunftsgewißheit vor Augen gekommen. Vorherrscht eine
Neigung zur Vertiefung und religiösen Versenkung. Aber das, worauf ich stieß,
schreibt noch keine eigene Handschrift. Man bemerkt überhaupt, auch bei den Lesern
, daß man sich rückwärts orientiert und gern bei Klassikern, bei beruhigten, formal
feststehenden und mystischen Autoren Halt sucht ... Was den Autoren not tut,
ist die Besinnung darauf, was sie eigentlich mit ihrem Denken, Dichten, Schreiben
meinen. Die Zeit wirft sich mit ganzer Wucht auf sie und preßt sie zu dieser Frage.
Im Augenblick liegt eine schwere Lähmung, als Nachwirkung der aushöhlenden
Diktatur, wie über allen so über ihnen, Katzenjammer nach dem Delirium. Und so
sehen wir heute in die Druckpressen einfließen einen trüben Strom von Landschaftsliteratur
, Volkstumsliteratur, vielfach von Autoren, die in der Nazizeit von den
Dirigenten dieser Bewegung dafür gelobt wurden ...

Was also besonders nottut, ist eine neue realistische Literatur, die mit dem Rückständigen
der alten Lug- und Verdrängungsliteratur aufräumt, ein Schrifttum, das
klar und ohne Schwulst formuliert und parteipolitisch nicht gefesselt ist. Es soll
künstlerisch wagemutig sein, und nicht zuletzt: die Tore zum Ausland weit aufstoßen
."9

Hat Döblin überzogen geurteilt, vielleicht aus der Verletztheit des Autors, der für
seine eigenen großen Romane November 1918 und Hamlet lange keinen Verleger
und nach dem Erscheinen nur missgelaunte Ablehnung findet? Ein Bericht der Badischen
Zeitung von der Frankfurter Buchmesse im September 1949 scheint Döblins
Urteil zu bestätigen. Der Artikel registriert, dass sogar ein Walter Flex (ein Kultautor
des Ersten Weltkriegs) wieder gekauft werde und resümiert, die Buchmesse zeige in
der Mehrzahl die guten, mäßigen und minderen alten Namen. „Hat der Leser taube
Ohren gegen das Neue, wie vielfach in der bildenden Kunst und bei der neuen Musik
? Den Grund hat man zu suchen in der Abwendung von allem, was Gegenwart
heißt und Auseinandersetzung mit ihr, in der Flucht zur Ruhe, in die Problemlosig-
keit, in die schönere Vergangenheit."

Sollte das auch die Fluchtrichtung des Freiburger Leserpublikums gewesen sein,
dann hat sich die Badische Zeitung des Jahres 1949 mit ganz erstaunlichem Mut auf
einen gegenströmigen und weltoffenen Kurs begeben. Man möchte seinen Augen
nicht trauen, mit welchem Fortsetzungsroman das Blatt seine doch eher gescheitelte
und kulturkonservative Leserschaft konfrontiert: Es ist ein Vorabdruck des Romans
Das Holzschiff von Hans Henny Jahnn, ein visionär durchleuchtetes, sprachverwegenes
Erzählstück von sperriger, traumszenischer Bildlichkeit. Eine Meerdichtung,
die mit ihren Sturmszenen, ihren in Leidenschaften verlorenen Gestalten in der deutschen
Literatur ihresgleichen sucht. Eine expressionistische Gleichnisdichtung, die
im Untergang der Menschen in diesem labyrinthischen, finsteren Holzschiff den Untergang
einer labyrinthischen, finsteren Welt beschreibt. Was für ein Kontrastpro-

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