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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
120.2001
Seite: 307
(PDF, 59 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2001/0307
Quellen zur Entstehung der Verfassung des Landes Baden von 1947. Zweiter Teil. Bearbeitet
von Paul Feuchte (Veröffentlichungen zur Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg
seit 1945, 16. Bd.). Hg. von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg
. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2001. VI, 478 S.

Der Band setzt den ersten Teil fort (vgl. Schau-ins-Land 119, 2000) und enthält die Beratungen
im Plenum der Beratenden Landesversammlung des Landes Baden (Nr. 1-16, 10. April
bis 8. Mai 1947; hier auch Dokumente der französischen Besatzungsmacht sowie ein Wahlaufruf
von Erzbischof Gröber), die Verfassung des Landes Baden vom 19. Mai 1947 sowie
fünf Dokumente zur weiteren Entwicklung (Mai 1947 bis November 1951, u. a. ein Vergleich
der südwestdeutschen Verfassungen, erarbeitet vom Commissariat pour le Land Bade, vom
22.9. 1950). Ausführliche Fußnoten zu Personen und Sachverhalten im laufenden Text sowie
Personen-, Sprech- und Sachregister erschließen den Band und machen ihn zu einem unentbehrlichen
Arbeitsinstrument für die ersten Nachkriegsjahre.

Bemerkenswert ist das hohe intellektuelle Niveau der Auseinandersetzungen in der Beratenden
Versammlung; fair begegnet man dem politischen Gegner. Dabei hätten Kommunisten
und Sozialdemokraten Grund gehabt, nicht nur mit Anspielungen an die unselige Rolle zu erinnern
, die unbelehrbare Zeitgenossen in den Jahren 1933 bis 1945 gespielt hatten; denn
,Linke' hatten früher und schlimmer die Unmenschlichkeit der Nationalsozialisten zu spüren
bekommen als Leute der ,Mitte' oder der ,Rechten'. Man bekennt sich zu eigenem Versagen,
stellt aber auch fest, welch schwere Schuld Juristen und Richter seit 1933 auf sich geladen hatten
(S. 140 f.).

Einen Schwerpunkt der Beratungen bildeten die Grundrechte, die als unabänderlich in der
Verfassung verankert werden sollten, sowie die Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft:
Agrar- bzw. Bodenreform, allgemeine Schulpflicht, Arbeitsschutz, Asylrecht, Befehlsnotstand
, Elternrecht, Gewaltenteilung, Jugend, Parteien, Planwirtschaft, Religionsgemeinschaften
, Todesstrafe, Vereinigungsfreiheit, Wehrpflicht. Nicht Vertreter bürgerlicher' Parteien,
sondern eine Abgeordnete der Kommunistischen Partei erhob zur Gleichstellung der Frau in
Recht und Gesellschaft sowie zum Mutterschutz konkrete Forderungen, die oft erst Jahrzehnte
später in Gesetze eingingen. Ergebnisse der mit großem Ernst geführten Beratungen kamen
dem Parlamentarischen Rat zugute, der 1948/49 das Grundgesetz ausarbeitete. Klagen über
den Wirrwarr der Sozialversicherung klingen vertraut; manche Aufgabe harrt seit mehr als
einem halben Jahrhundert der Lösung.

Schlaglichtartig wird die weitgehende Freiheit der Aussprache deutlich: Dieser erinnert
daran, dass das Ausland Hitler zu lange habe gewähren lassen; jener prangert die Demontagen
an. Man fordert nicht nur die Wiedervereinigung von Nord- und Südbaden, sondern hofft
auf einen deutschen Bundesstaat.

Seltener als erwartet scheint das Umfeld von Not und Entbehrung auf, in dem die 61 Frauen
und Männer die Verfassung erarbeiteten. Da man nach 1 Uhr mittags nichts mehr zu essen bekam
, mussten die Sitzungen entsprechend früh unterbrochen werden; nach Abschluss der Beratungen
kam für ein gemeinsames Mahl nur das Lokal in St. Ottilien in Frage. In Ermangelung
von Benzin wurden die wenigen Kraftfahrzeuge mit Holzgas betrieben. Generationenlanges
, nicht kriegsbedingtes Schicksal von Kindern wird deutlich: Ein Abgeordneter hatte
bemängelt, „daß im Glottertal und auf dem Schwarzwald die Hirtenjungen von früh morgens
4 Uhr bis vielleicht abends 10 und 11 Uhr ihre Herden hüten müssen. Ich gebe das unumwunden
zu. Ich sehe dabei selbstverständlich, daß es diesen Jungen nicht möglich ist, ihre
Schulaufgaben so zu erfüllen, wie es notwendig ist, und daß auch diese Kinder manchmal in
der Schule ermüdet sind." Doch die Landwirtschaft brauche diese Kräfte, und Landkinder
seien derzeit im allgemeinen besser ernährt als Stadtkinder! (S. 269). Von der erhöhten Sterb-

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