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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 95
(PDF, 58 MB)
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Ortsarmen in den Kehr treten oder für ein weiteres Jahr an ein Sittlichen, und Ordnungsliebenden
Bürger uibergeben werden sollte. Von den inzwischen 76 stimmfähigen Personen der
Gemeinde Steig entschieden sich die anwesenden 56 Bürger einstimmig für den Verbleib der
behinderten Frau beim bisherigen Betreuer Kilian Kaiser (1812-1864), dem Fuhrmann und Besitzer
des Hirschenhäusle. Er bekam dafür die recht ansehnliche Summe von 43 Gulden pro
Jahr bewilligt. Es war üblich, dass die Gemeinde das Geld erst nach Ende der Vertragslaufzeit
auszahlte. So konnte sie sicherstellen, dass das Interesse des Bürgers groß genug blieb, den
Vertrag das ganze Jahr zu erfüllen. Die hohe Summe zeigt, dass die anderen Gemeindebürger
sich nicht danach gedrängelt hatten, die Betreuung der geistig behinderten Frau zu übernehmen
. Es fand sich jedenfalls niemand in der Versammlung, der sie für eine niedrigere Vertragssumme
übernehmen wollte. Erst im August 1849, als die geistig behinderte Ortsarme wieder
auf der Gemeindeversammlung „im Abstrich" versteigert wurde, erklärte sich ein anderer,
der Hofbauer Johann Rombach (1804-1857), bereit, sie für ein Jahr zu nehmen. Versteigerung
im Abstrich bedeutete, dass bei einer Versteigerung nach unten derjenige zum Zuge kam, der
die Leistung für den geringsten Betrag zu erbringen bereit war. Für eine Bezahlung von 40
Gulden aus der Gemeindekasse ersteigerte sie der Besitzer des Kernenhofes Rombach. Je niedriger
das Gebot war, desto weniger mussten die anderen steuerpflichtigen Gemeindebürger in
die Gemeindekasse einzahlen. Deswegen stimmten die im Wirtshaus zum Hirschen versammelten
Gemeindebürger alle dem niedrigsten Gebot zu.4

Da die Gemeinde Steig im 19. Jahrhundert noch über kein Rathaus verfügte, fanden die Gemeindeversammlungen
und die Sitzungen des Gemeinderats alle im Gemeindewirtshaus statt.5
Die steuerpflichtigen Gemeindebürger zerfielen in drei Steuerklassen, in die ärmere bzw. niederbesteuerte
Klasse, die mittelbesteuerte Klasse und die höchstbesteuerte Klasse. Aus jeder
Klasse kam in Steig ein Vertreter in den Bürgerausschuss. Zusätzlich mit dem Ausschussobmann
waren also vier Personen in diesem Gremium vertreten. Wie viele Personen aus der
ärmeren Klasse in der Gemeindeversammlung waren, vermerkte der Schreiber des Gemeindeversammlungsprotokolls
zwar nicht, aber es gab sie und sie hatten Stimmrecht. Da auch die
Gemeindebürger aus der ärmeren Klasse in der Gemeindeversammlung und im Ausschuss über
die kommunale Armenfürsorge entschieden, darf man annehmen, dass sie sehr genau darauf
achteten, dass die Ausgaben nicht zu hoch waren.6 Im Grunde genommen kann man sogar davon
ausgehen, dass sie für die Ortsarmen und die Armenausgaben eigentlich „nichts übrig"
hatten.7

Ortsarme Frauen mit unehelichen Kindern im Kehr in der Gemeinde

Dies kann man an dem Fall der ledigen Taglöhnerin Theresia Hug (1787-1850) erkennen.
Theresia Hug sah sich außerstande, aus ihren Mitteln für sich und ihre volljährige Tochter
Theresia Maier (geb. 1808) eine Wohngelegenheit zu beschaffen. Die Gemeindeversammlung
wurde am 20. April 1845 vor die Wahl gestellt, sie beide in den Kehr zu nehmen oder auf
Kosten der Gemeindekasse eine Unterkunft zu beschaffen. Gegen die einstimmige Entscheidung
der Versammlung, sie in den Kehr zu schicken, klagte die Tochter beim übergeordneten
Landamt. Dem unbeliebten Kehr hätte sie eine dauerhaftere Unterkunft vorgezogen. Der Gemeinderat
und der Bürgerausschuss rechtfertigten jedoch die Entscheidung damit, dass mit

4 GAB 578: Gemeindeversammlungsprotokoll für Steig 1844-1851.

5 GAB 575: Ratsprotokolle der Gemeinde Steig 1837-1844. GAB 578. Siehe auch GAB 141: Das Rathaus in
Steig, Erbauung, Vermietung und Veräusserung 1874-1934.

6 GAB 575. GAB 578.

7 Sachsse/Tennstedt (wie Anm. 3), S. 251. Sachsse/Tennstedt beschreiben zutreffend: Die Masse der Landbewohner
, die als ländliche, unterbäuerliche Klein- und Grenzexistenzen ihre elementaren Lebensbedürfnisse kaum
jemals vollständig sichern konnten, hatten für die Armen 'nichts übrig'.

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