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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 98
(PDF, 58 MB)
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bung nicht. Eisenbach gewährte ihr keinen bürgerlichen Annahmeschein. Die Gemeinden
wussten nur zu gut, welche potenziellen Armenlasten sie sich bei einer bürgerlichen Aufnahme
einhandeln konnten - und dennoch gab es immer wieder derartige Versuche, Armenlasten auf
andere Gemeinden abzuwälzen. Die Ehewünsche der ledigen Mütter blieben dabei häufig auf
der Strecke.12

Diese an einer Heirat gehinderten Frauen bekamen zum Leidwesen der übrigen steuerpflichtigen
Gemeindebürger dennoch weiteren Nachwuchs. So wurde die Ortsarme Ester Hoch
trotz verhinderter Ehe schwanger und brachte am 30. Mai 1851 in der Freiburger Entbindungsanstalt
ein uneheliches Kind zur Welt. Da ihr Krankheitszustand sich nicht besserte -
ihre unteren Gliedmaßen waren teilweise gelähmt - musste die Gemeinde Steig finanziell für
sie gerade stehen. Sie war schon vor der Geburt krank gewesen, denn am 11. April 1851 entschied
die Gemeindeversammlung, die nunmehr herbergs- und nahrungslos gewordenen zwei
Kinder der Ester Hoch in den Kehr zu nehmen. Es wurde nicht nur festgelegt, dass die Bürger
Nahrung und Unterkunft zu gewähren hatten, sondern sie mussten auch für einen fleißigen
Schulbesuch der Kinder sorgen. Diese Aufforderung deutet darauf hin, dass wahrscheinlich
nicht alle Gastgeber die Kinder regelmäßig zur Schule schickten.

Als Berechnungsgrundlage für den Kehr legte die Gemeinde wie üblich die Einkommensverhältnisse
der Bürger zugrunde. Nach diesem sogenannten „Steuerkapital" berechnete sich
die Aufenthaltsdauer der Personen im Kehr bei den einzelnen Bürgern. Auf 100 Gulden Steuerkapital
wurde ein halber Tag berechnet. Als Vergleichsmaßstab sei folgendes erwähnt: Um
Bürger innerhalb der sogenannten „ärmeren Klasse" zu begünstigen, beschloss die Gemeindeversammlung
von Steig jedes Jahr neu, dass bei einer fälligen Gemeindeumlage diejenigen
davon verschont wurden, die nur 300 Gulden Steuerkapital oder weniger besaßen. Wenn in
einer Gemeinde Kosten auftraten und in der Gemeindekasse nicht mehr genug Mittel vorhanden
waren, dann wurden die Kosten auf alle steuerpflichtigen Gemeindebürger „umgelegt".
Eine Umlage mussten die Gemeindebürger in der Gemeindeversammlung genehmigen. Wer
also nur über ein Gewerbesteuerkapital von 300 Gulden verfügte, zahlte in Steig nicht in die
Gemeindekasse ein, war aber beim Kehr trotzdem Gastgeber. Ein ärmerer Mitbürger mit nur
300 Gulden Gewerbesteuerkapital musste demnach eineinhalb Tage Nahrung und Unterkunft
gewähren.

Niemand zahlte gerne viel Umlage in die Gemeindekasse ein. Bei Ester Hoch zeigte sich
dies sehr deutlich. Ihr Krankenzustand hatte sich noch nicht viel gebessert. Wenn sie bis zur
vollständigen Genesung in der Freiburger Klinik verbleiben soll, dann habe die Gemeinde
Steig dies mit 40 Kreuzern pro Tag zu bezahlen, andernfalls müsse sie sofort abgeholt werden,
so der Direktor der Klinik. Die Gemeindeversammlung beschloss am 9. Juli 1851 daher, sie
sofort in Freiburg abzuholen und in Steig an einen zuverlässigen Mann zu geben, der für Unterkunft
und Verpflegung von Frau Hoch aus der Gemeindekasse entlohnt werden solle. Ihre
Krankheit sollte in Steig ein Arzt auf Kosten der Gemeindekasse behandeln. Das erschien den
Gemeindebürgern immer noch günstiger als der Verbleib in Freiburg. Nur hatten die versammelten
Gemeindebürger die Rechnung ohne sich selbst gemacht. Von den anwesenden
Gemeindebürgern wollte niemand die Kranke bei sich aufnehmen. Daher erfolgte ein neuer
Beschluss: Die Bürger zahlten aus der Gemeindekasse einen weiteren Aufenthalt von vier
Wochen im Hospital.

Hier zeigt sich, dass in diesem schweren Krankheitsfall der Kehr sinnlos gewesen wäre. Der
Fall demonstriert aber auch, dass eine völlig arbeitsunfähige Person trotz angebotener Bezahlung
durch die Gemeinde als eine zu große Belastung angesehen wurde. Personen im Kehr, die
zwar arm waren, aber noch - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - arbeiten konnten, waren da

12 Rüdiger Hitz: Leben im Hochschwarzwald in badischer Zeit. In: Rüdiger Hitz/Hillard von Thiessen: Familie
, Arbeit und Alltag in Hinterzarten 1600-1900. Konstanz 1998, S. 314-412, hier S. 382-383.

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