Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 208
(PDF, 57 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0208
gänge um das Israelitische Waisenheim in Diez an der Lahn, das nach wüsten Angriffen der
Bevölkerung im September 1935 aufgegeben werden musste.21

Umso erstaunlicher mutet es deshalb zunächst an, dass zur selben Zeit im badischen Bollschweil
ein jüdisches Kinderheim neu eingerichtet werden konnte. Die Gründe dafür sind in
den auch 1935 noch stark unterschiedlichen gesellschaftlichen und selbst noch politischen Gegebenheiten
im Reich zu suchen. So war etwa das hessische, ganz überwiegend protestantische
Diez geradezu - worauf der dortige NS-Bürgermeister die Heimleitung hinwies, um diese vor
einem Weiterbetrieb des Heims zu warnen - eine Pflegestätte der nationalsozialistischen Weltanschauung
, was natürlicherweise bei Würdigung des kleinstädtischen Charakters der Stadt...
starke Gegensätze gegenüber den jüdischen Staatsangehörigen ergeben musste.22 Anders war
dagegen immer noch die Situation in der Dorfgemeinde Bollschweil.

Bollschweil, das um 1925 zu gut 95 Prozent katholisch war - und auch 1938 noch galten
93,5 Prozent der Seelen als der Kirche zugehörig - ,23 war bis zu den Reichstagswahlen vom
Juli 1932 eine unangefochtene Hochburg des Zentrums, in der die übrigen Parteien völlig bedeutungslos
blieben. Selbst bei der Landtagswahl 1929, bei der die NSDAP in Baden einen ersten
Einbruch in das etablierte Parteiensystem verzeichnen konnte,24 mochte sich in Bollschweil
nur eine von 255 abgegebenen Stimmen für die Rechtsradikalen erwärmen; das Zentrum
hingegen verbuchte mit 232 Stimmen einen Höchststand von fast 91 Prozent der Voten.
Das änderte sich auch nicht wesentlich in der Reichstagswahl vom September 1930, in der trotz
der Erfolge auf Reichsebene nur 7 Stimmen für die NSDAP abgegeben wurden. Knapp zwei
Jahre später jedoch, mit der Reichstagswahl vom Juli 1932, bot sich ein ganz anderes Bild: Die
Zahl der Bollschweiler NSDAP-Wähler erhöhte sich bei ungewohnt hoher Wahlbeteiligung
schlagartig auf 91 (Zentrum 215) - ein Erfolg, der zwar bei der Reichstagswahl vom November
des Jahres nicht gehalten werden konnte, da die Partei bei geringerer Wahlbeteiligung nur
36 Stimmen zu reaktivieren vermochte (Zentrum 184). Dennoch trug die im Amtsbezirk Staufen
flächendeckend verschärfte NS-Agitation des Jahres 1932 auch in Bollschweil ihre
,Früchte': Die Parteiveranstaltungen und Kameradschaftsabende der SA, die der Kirchhofener
Ortsgruppenleiter, zu dessen Bezirk Bollschweil bis 1934 zählte, jeweils im Gasthaus „Zur
Brauerei" durchführen ließ,25 überzeugten immer mehr Wahlberechtigte, nun offenbar auch aus
den Reihen des Zentrums: Bei der Reichstagswahl im März 1933, bei der auch die NS-Wähler

21 Adler-Rudel (wie Anm. 19), S. 172. Arbeitsbericht (wie Anm. 18) (1933), S. 21 bzw. (1935), S. 44. Für das
Waisenhaus in Diez vgl. den Internet-Eintrag: www.rhein-lahn-info.de/geschichte/goelzenleuchter/diez.html.
Ferner Thomas Höltken: Das israelitische Kinderheim in Diez. In: Heimatbuch des Rhein-Lahn-Kreises 12
(1997), S. 144-146. Schikanen der Behörden und tätliche Angriffe der Bevölkerung musste beispielsweise auch
das Landschul- und Kinderheim Caputh über sich ergehen lassen. Feidel-Mertz/Paetz (wie Anm. 10). S. 41 ff.

22 Vgl. den aufschlussreichen Aktenvermerk des Bürgermeisters vom 27.9.1935 über sein Gespräch mit der Heimleitung
; wie Anm. 21 (Interneteintrag).

23 Freiburg im Breisgau. Stadt und Landkreis. Amtliche Kreisbeschreibung. Bd. 2.1. Freiburg 1972, S. 96. - An See-
len nennt der Visitationsbericht der Pfarrei Bollschweil von 1938: 609 katholisch, 38 protestantisch. 3 israelitisch
. 2 Sonstige. Erzbischöfliches Archiv Freiburg (EAF). Best. O Nr. 1188 (Kirchenvisitation Bollschweil,
1880-1941).

24 Ernst Otto Bräunche: Die Entwicklung der NSDAP in Baden bis 1932/33. In: Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins 125 (1977), S. 331-375, hier S. 346.

25 Vgl. Staatsarchiv Freiburg (StAF), B 741/1 (Bezirksamt Staufen) Nr. 314 (Abhaltung politischer Versammlungen
, 1931-1933): Veranstaltungen in Bollschweil am 29.6., Ende Juli, 25.9. (SA-Sturmbann 111/113), 3.11.1932,
26.2.1933. Vgl. auch ebd.. Nr. 371 (Bekämpfung politischer Ausschreitungen, hier: Versammlungstätigkeit). -
Tritschlers Bierbrauerei und Weinwirtschaft, nach Besitzerwechsel und Aufgabe des Braubetriebs 1920 in „Hirschen
" umbenannt, wurde von den Einheimischen weiterhin als ,,d' Braui" („Zur Brauerei", auch „Zum Bierhaus
") bezeichnet. Josef Diener: Das Hexental auf alten Ansichtskarten. Freiburg 1987, S. 56.

208


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0208