Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 211
(PDF, 57 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0211
tum, antisemitische Agitation und antijüdische Aktivitäten keine Mittel der politischen Überzeugungsarbeit
.35 Allerdings, auch hierbei verdrängte er mit Rücksicht auf seine nationalistischen
Ziele die schlimmen Konsequenzen, die eine solche Haltung unter der Herrschaft der
NSDAP nach sich ziehen musste.

Von Holzings anständig-noble Haltung36 und das geschilderte katholische Milieu, dessen
Wirksamkeit allerdings im Laufe der Zeit immer schwächer wurde,37 werden dazu beigetragen
haben, dass sich in Bollschweil nach 1933 zunächst weder lautstarker Parteifanatismus noch
aggressiv vorgetragener Antisemitismus offen äußerte. Freilich gab es am Ort auch keine Judengemeinde
, gegen die sich dieser direkt hätte richten können.38 Im Dorf lebte nur eine jüdische
Mitbürgerin, Emma Kirner geb. Carsch aus dem niederrheinischen Emmerich, Tochter des
dortigen Kantors, Ehefrau des katholischen Bürstenmachers Ernst Kirner aus Todtnau, der sich
1925 in Bollschweil niedergelassen hatte und dort eine bescheidene Bürstenfabrikation betrieb
.39 1935 dann wählte der aus dem hessischen Schuldienst entlassene Studienassessor Josef
Rüdell mit seiner jüdischen Frau und zwei Kindern Bollschweil zum Wohnsitz.40 Auch sein Zu-

äußere Folgen für ihn selbst haben kann. Vor allem aber machte ihm das Problem zu schaffen, dass Adelstitel,
die auf Leistungen gegründet waren, insbesondere auf solche heroischer Art und für das Vaterland vollbrachter,
nun durch den Nachweis einer Beimischung nichtarischen Blutes nichtig werden sollten. Einer eigenen klaren
Stellungnahme entzog sich von Holzing aber mit dem Hinweis, Entscheidungen werde ein noch zu bildender
Adelsgerichtshof zu treffen haben.

35 Von Holzings Tochter Lonja Stehelin-Holzing hat 1935 in einer kleinen Szene das in äußerst höflicher Form geführte
, aber doch von unüberwindbarer gegenseitiger Distanz geprägte Gespräch ihres Vaters mit einem jüdischen
Ehepaar festgehalten, das mit seinem Sohn Peter befreundet war. Literaturarchiv Marbach, A: Stehelin-
Holzing, Zug. Nr. 87.38.11 (Aufzeichnungen, Notizen, Zitate, 1918-1945), S. 59.

36 Dass einige Mitglieder der Familie Holzing, anständige noble Menschen, Anfang 1939 noch völlig mit dem NS
übereinstimmen, überstieg das Fassungsvermögen eines englischen Freundes der Familie. Kaschnitz (wie Anm.
1), S. 254.

37 In seinem Visitationsbericht vom Dezember 1938 stellt Dekan Dr. Föhr fest: Der religiöse Zustand der Gemeinde
[Bollschweil] macht keinen besonders guten Eindruck; es ist wohl die unbefriedigendste Gemeinde im
Hexental. Die katholische und kirchliche Presse (Freiburger Tagespost bzw. Konradsblatt) wurde nur von wenigen
bezogen, die akatholische Presse (Der Alemanne) war dagegen stark verbreitet. Kirchenaustritte waren seit
1933 nur 2 (1938) zu verzeichnen, doch ging der Kirchenbesuch immer mehr zurück. Die kirchlichen Vereine
existierten nicht mehr: nichts für die Jugend, nichts für die Männer, nichts für die Frauen und Jungfrauen. Pfarrer
Wilhelm Müller hatte gänzlich resigniert. Sein Nachfolger Pfarrer Fränznick bezeichnete es 1941 als vordringlichste
Aufgabe, die große Zahl der Abständigen ... wiederzugewinnen. EAF, Best. O Nr. 1188 (Kirchenvisitation
Bollschweil, 1880-1941).

38 Die damals von jüdischer Seite vertretene Auffassung, verleumderische Unterstellungen gegen Juden seien besonders
in Gemeinden ohne jüdische Bürger wirksam, während „nachbarliches Miteinander von Juden und
Nichtjuden" das gegenseitige Verständnis fördere und damit auch die Wahlchancen der NSDAP mindere, erwies
sich nicht als richtig. Die Annahme basierte auf der unkritischen Interpretation der Wahlergebnisse anlässlich der
Landtagswahlen in Baden 1929, der zufolge in den Orten ohne jüdische Bevölkerung der Anteil der NS-Stim-
men extrem höher gewesen sei als in den Orten mit starken Judengemeinden, was insgesamt nicht zutraf. Vgl.
hierzu ausführlich Baumann (wie Anm. 27), S. 194ff.

39 Emma Kirner geb. Carsch, geb. am 1.5.1879 in Emmerich, gest. am 23.7.1949 in Bollschweil, viertes von neun
Kindern des Elementarlehrers und Kantors Jakob Carsch und seiner Ehefrau Julia geb. Rhee. Sie heiratete am
19.4.1919 in Freiburg den katholischen Bürstenmacher Gustav Ernst Kirner, geb. am 9.10.1878 in Todtnau, gest.
am 18.9.1949 ebd. Trauzeugen waren der nichtjüdische Kaufmann (Bürsten- und Korbwaren) Wilhelm Kahn und
der jüdische Versicherungsagent Adolf Besag, der am 23.8.1942 mit seiner Frau Pauline nach Theresienstadt verschleppt
wurde, wo diese im Oktober starb; Besag überlebte und kehrte nach Freiburg zurück. Mitteilungen der
Bürgermeisterämter Bollschweil und Todtnau, des Standesamts Freiburg. Weiterführende Hinweise verdanke ich
Herrn Herbert Schüürmann, Emmerich, Mitautor der Publikation: Juden in Emmerich (Emmericher Forschungen
, 12). Emmerich 1993 (dort S. 234: biographische Daten zu Kantor Jakob Carsch und Familie). Zu Adolf und
Pauline Besag vgl. StadtAF, C5/2587; Bl/418 (Dokumentation jüdischer Friedhof) Nr. 477a, b.

40 Josef Rüdell, geb. am 26.6.1888 in Oberlahnstein, gest. am 26.3.1974 in Freiburg, studierte alte Sprachen und
Geschichte in Heidelberg, München und Straßburg, wo er 1915 Paula Landshut, geb. am 8.1.1892 in Elbing, gest.
am 1.8.1969 in Freiburg, heiratete. 1934 aus politischen Gründen und wegen seiner Ehe mit einer Jüdin aus dem
Schuldienst an der Hassel-Realschule in Frankfurt/M. in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, ging er, insbesondere
wohl wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen seiner Frau zu Straßburg, mit ihr und den Kindern Hans

211


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0211