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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 214
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Zögling in Englisch.52 Mit dieser Ausbildung übernahm das Kinderheim eine Aufgabe, die im
Hinblick auf die Auswanderung jüdischer Mädchen immer wichtiger wurde. Seit Mitte 1933
wurde in vermehrtem Maße versucht, jüdische Mädchen als Haushaltsschülerinnen in Heimen
- wie etwa im Dürrheimer Friedrich-Luisen-Hospiz - unterzubringen, um sie in allen Zweigen
der Hauswirtschaft auszubilden und sie in die Kinder- und Säuglingspflege einzuführen.53 Sie
sollten damit befähigt werden, sich in der Emigration als Hausgehilfinnen und Kindermädchen
ihren Lebensunterhalt zu verdienen - Kenntnisse, besonders praktische, sind ja immer noch das
Beste, was Eltern ihren Kindern mitgeben können, vor allem in unserer Lage, bemerkte Georg
Rosenberg 1937 zum Bollschweiler Aufenthalt seiner Tochter Ursula, die dann Mitte 1939 mit
einem Kindertransport nach England emigrierte.54

Über die Aktivitäten des Heims, gar über die Gestaltung des Tagesablaufs im Einzelnen ist
kaum etwas bekannt. Es fehlt an Zeugen. Heimkinder, die sich in die Emigration haben retten
können und die allein in der Lage wären, Genaueres darüber mitzuteilen, konnten nicht ermittelt
werden.55

Dass Gruppenspiele, Wanderungen und Ausflüge in die nähere Umgebung stattfanden, versteht
sich allerdings von selbst. Besucht wurde möglicherweise das mit dem Postbus bequem
zu erreichende Freiburg, so wie es Ursula Rosenberg tat. Vorgestern war ich in Freiburg,
schrieb sie im Mai 1937 ihrem Bruder Kurt. Erst besichtigte ich das Münster, hinterher war
ich im Cafe Museum und hob bei fabelhafter Musik und Zeitung meinen Kuchen gegessen. Das
Münster ist unbeschreiblich schön. Es sind 380 Stufen, bis man oben im Turm ist, und man kann
nur 190 Stufen davonfahren. Da ich prima Wetter hatte, war die Luft so rein und ich hatte eine
herrliche Aussicht.56

Denkbar, dass auch für die älteren Kinder des Heims jeweils eine Fahrt nach Freiburg auf
dem Programm stand. Nachgewiesen werden kann jedenfalls ein Gruppenausflug nach St. Ulrich
mit anschließender Einkehr in das Gasthaus „Zum Rössle".57

Der Tagesablauf dürfte, etwa mit geregelten Ruhezeiten, wie in anderen Heimen darauf abgestimmt
gewesen sein, die angestrebte körperliche Erholung der Kinder zu gewährleisten.
Eine bescheidene Bibliothek wird ihnen, an den Abenden und bei schlechtem Wetter, Stoff zum
Lesen geboten haben. Ebenso dürften Singen und Musizieren, wohl auch mit Instrumenten, die
die Kinder selbst mitbrachten, immer wieder auf dem Tagesplan gestanden haben.

Bedeutsamer freilich als die Klärung dieser und anderer, auch für nichtjüdische Kinderheime
geltender Aspekte des Heimlebens ist die weiterführende Überlegung, inwieweit religiöse
, das jüdische Selbstverständnis berührende Gesichtspunkte das Leben im Bollschweiler
Heim geprägt haben könnten. Auch hier kann allerdings wiederum mangels direkter Nachrichten
nur in Analogie zu anderen jüdischen Kinderheimen auf die Verhältnisse in der „Sonnenhalde
" geschlossen werden.

Die Bollschweiler Heimleiterinnen entstammten assimilierten Familien, die seit langem und
ganz selbstverständlich mit der deutschen Kultur eng vertraut waren; mit ihrer religiös libera-

52 Mitgeteilt von Frau Rina Eilon am 28.4.2002. Ob außer Ursula Rosenberg noch weitere Mädchen zu einer solchen
Ausbildung aufgenommen worden sind, ist nicht bekannt.

53 Informationsblätter (wie Anm. 13) (1933), Nr. 14. - 1937 konnte der Zentralausschuss der Deutschen Juden für
Hilfe und Aufbau für die Ausbildung in Hauswirtschaft 280 Plätze, viele davon in Kinderheimen, anbieten. Arbeitsbericht
(wie Anm. 18), 1937, S. 90ff.

54 Wie Anm. 51. - Zu Ursula Rosenberg vgl. Doetzer (wie Anm. 46), S. lOOff., 171ff. und 273f.

55 Frau Ursula Rosenberg, die heute in den USA lebt, kann leider auf Grund ihres hohen Alters nicht mehr über das
Kinderheim berichten. Versuche, mit ihr über ihre Söhne Kontakt aufzunehmen, scheiterten.

56 Ursula Rosenberg aus Bollschweil, Haus „Sonnenhalde", an ihren Bruder Kurt in Wetzlar, 26.5.1937. Familienarchiv
Eilon. - In diesem Brief berichtet sie auch davon, dass sie über Pfingsten Frankfurter Besuch in der „Sonnenhalde
" hatte.

57 Mitteilung von Frau Sumser, Wirtin des „Rössle", an den Verfasser.

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