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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 215
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len Haltung hatten sie sich zunehmend aus der Bindung an die jüdische Tradition gelöst. Das
wird vielfach auch für die Familien der Heimkinder gegolten haben, denen nun von den Nationalsozialisten
das Stigma des rassisch minderwertigen Jüdischseins angeheftet wurde. Sie
litten in erheblichem Maße unter dieser Stigmatisierung, die von Beschimpfungen und tätlichen
Angriffen durch christliche Altersgenossen begleitet sein konnte und die sie in die Isolierung
trieb.58 So galt es, den Kindern ein eigenes, nun in jüdischer Kultur und Tradition verankertes
neues Selbstbewusstsein zu vermitteln - eine Aufgabe, der sich auch die Kinderheime
nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten in der Gestaltung des Heimlebens widmeten, etwa mit der
bewusst sorgfältigen Gestaltung der Freitagabendfeier und der verschiedenen jüdischen Feste
im Jahreszyklus. Zwar setzte die zeitlich begrenzte Dauer des Heimaufenthalts hier enge Grenzen
- Jüdische Erziehung als geistigen Widerstand im umfassenden Sinn leisteten die jüdischen
Schulen und Landschulheime59 -, doch konnte die Erfahrung einer gleich gesinnten Gemeinschaft
wie im Sonnenhalde-Heim wenigstens die innere Kraft stärken, den psychischen Belastungen
, denen jüdische Jugendliche im Alltag ausgesetzt waren, besser standzuhalten.

Mit der stillschweigenden Duldung der jüdischen Kinder scheint es in Bollschweil seit Ende
1936 allmählich vorbei gewesen zu sein. Zumindest hat eine wachsende Zahl überzeugter Parteigenossinnen
und -genossen Überlegungen angestellt, wie eine Schließung des Heims zu bewerkstelligen
sei - die eingangs angeführte Gesprächsnotiz beweist es. Denn dabei handelt es
sich keineswegs nur um die private, übrigens von den Töchtern Marie Luise und Lonja60 scharf
missbilligte Ansicht Elsa von Holzings. Sie formulierte vielmehr die Auffassung weiterer
Kreise, insbesondere die der von ihr mit karitativem und weltanschaulich politischem Einsatz
erfolgreich geführten örtlichen NS-Frauenschaft.61 Deren Mitglieder fanden bei den Treffen zur
Vorbereitung der Winterhilfe, in der Nähstube und bei den wöchentlichen Kochkursen in der
Küche des Schlosses Gelegenheit, die ideologischen Defizite im Dorf zu erörtern - Diskussio-

58 Angress (wie Anm. 19), S. 212f.

59 Joseph Walk: Jüdische Erziehung als geistiger Widerstand. In: Die Juden (wie Anm. 19), S. 239-247. Vgl. auch
die Titel in Anm. 13.

60 Beide Töchter gerieten wegen ihrer oppositionellen Haltung immer wieder in Konflikt mit ihren Eltern, Lonja
Stehelin-Holzing mit ihrer Mutter erneut beim Anschluss Österreichs an das Reich 1938, den diese begeistert begrüßt
hatte: Lonia war letzten Samstag da, aber man konnte nicht mit ihr reden aus Anlass der politischen Ereignisse
. Als sie die Flaggen in Freiburg sah und hörte, dass unsre Truppen in Österreich einmarschieren, war
es aus. Ich sagte ihr, sie solle nur wenigstens auf der Straße leise sprechen!!!! Wir vermieden danach die politischen
Gespräche. Elsa von Holzing am 17.3.1938 an Karola von Brauer. GLA (wie Anm. 30), Fasz. 73.

61 Angeregt durch das Vorbild ihres Mannes trat auch Elsa von Holzing (1875-1941) im Dorf aktiv für den Nationalsozialismus
ein. Sie führte die örtliche NS-Frauenschaft, wurde zweite Vorsitzende des NS-Wohlfahrtsaus-
schusses, war damit für die Durchführung des Winterhilfswerks verantwortlich, gründete eine Nähstube. Elsa von
Holzing am 3.12.1933 an Karola von Brauer. GLA (wie Anm. 30), Fasz. 73. Vgl. ihren Brief vom 27.5.1935 an
ihre Tochter Marie Luise: Letzten Sonntag hatte ich einen großen Werbenachmittag für die NS. Frauenschaft. Es
waren furchtbar viele Leute da und dank meiner ... Ausführungen haben sich nachher 16 neue Mitglieder eingeschrieben
. Das ist viel für unser Dorf. Ich habe zum ersten Mal eine Art weltanschaulich politische Rede gehalten
. Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Kaschnitz (Briefe Elsa von Holzing an Marie Luise Kaschnitz).
Vgl. ebd. den Brief vom 28.12.1934 mit der Schilderung ihrer Aktivitäten bei der Vorbereitung und Durchführung
der Winterhilfe, sowie den Brief vom 27.10.1936 an Karola von Brauer: Am letzten Sonntag Abend hatten wir einen
sehr guten Propagandaredner hier, der gegen den Bolschewismus sprach, ganz vorzüglich, nicht schreiend,
mit angenehmer Stimme, nur 3A Stunden, und inhaltlich sehr interessant. Von meiner Frauenschaft waren etwa
60 % da und der B.D.M. vollzählig. Der Kreisredner hat mir dafür ein Extra Anerkennung ausgesprochen. Das
hat mich gefreut. - Am Freitag fing unser Kochkurs an. Er ist nun jeden Freitag, monatelang, von 2 Uhr mittags
bis 11 Uhr abends, in unsrer Küche. Die erste Hälfte von 16 Teilnehmerinnen von 2-6 und die zweite Hälfte von
16 Teilnehmerinnen von 7-11. Es war ein solcher Eifer und so viele Bewerberinnen, dass ich für Februar noch
einen dritten Kurs einrichten musste. ... Was Max auch gefreut hätte ist, dass ich neulich abends auf dem Rathaus
in die Partei vorgeschlagen worden bin. Ich war nämlich noch nie in der Partei. Nun sind für jedes Dorf
ein paar Aufnahmen bewilligt und der Bürgermeister frug mich, ob ich nicht an Max Stelle in die Partei eintreten
wolle. Ich sagte zu. GLA, wie oben. Die Parteiaufnahme wurde beantragt am 16.6.1937. Mitgliedsnummer
4274311. Bundesarchiv (ehem. Berlin Document Center), NSDAP-Gaukartei sowie NSDAP-Zentralkartei.

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