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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 219
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0219
dem - unter Wert dann vollzogenen - Verkauf einiger Möbel, von Geschirr, Bestecken und Wäschestücken
die „Sonnenhalde" geordnet aufzulösen.70 Gegen Mitte Januar war die Auflösung
vollzogen; Elisabeth Müller verließ Bollschweil und ging zurück nach Hannover.71

Den grotesken Schlussstrich unter die kurze, so bitter endende Geschichte des Kinderheims
setzte eine dörfliche Nazi-Politfarce, deren Verlauf Elsa von Holzing festgehalten hat - einigermaßen
abgestoßen von der Pöbelhaftigkeit ihrer Parteigenossen und -genossinnen.

Am letzten Sonntagabend, so schreibt sie, gab es hier erneut einen Aufstand, diesmal war er
gegen die Kirche gerichtet! Das jüdische Kinderheim war aufgelöst worden, und viele Leute hatten
den Hausrat gekauft. (Was ich weiter nicht schlimm finde, denn irgendjemand musste ihn ja
kaufen!) Nun hatten Parteileute Zettel gedruckt, mit Schmähungen gegen die Leute - mit Namensnennung
-, die von den Juden gekauft hatten, und diese Zettel an viele Häuser geklebt.
Auch wir hatten einen, obwohl ich nichts gekauft hatte. Aber an der Kirchentür war auch einer!
Nun war am Sonntag hier das Fest unsres Schutzpatrons, des Heiligen Hilarius.72 Bei dieser Gelegenheit
ist immer großes Hochamt, und es kam ein Pater von auswärts. Der hat nun in der Kirche
sich das Ankleben eines derartigen Schmähzettels an die Kirchentür verbeten und ist mit
scharfen Worten gegen die anonymen Kleber vorgegangen, sagte, es seien Feige, die nicht mal
sich trauten, ihren Namen darunter zu schreiben, und sie hätten kein germanisches Blut, sondern
Wolfs- und Eselsblut in den Adern, [seien] also böse und dumm u.s.f. Nun gab es abends
einen Auflauf! Die Leute, etwa 30 junge Leute, scharten sich vor dem Pfarrhaus zusammen und
riefen immerfort: Hetzpater, komm heraus, und sangen Lieder, und wollten ihn nicht mit dem
Postauto abreisen lassen, sondern wollten, dass er in Schutzhaft genommen werde. ... Dem einen
Pfarrer, der auch noch zu Besuch war, haben sie die Luft aus den Autoreifen genommen, so
dass er nicht wegfahren konnte. ... Ich kam gerade zufällig des Wegs daher, ... nach der aufregenden
Auseinandersetzung mit dem Bürgermeister musste ich einen nächtlichen Beruhigungsspaziergang
machen. Da sah ich die Ansammlung vor dem Rathaus und eine von der Frauenschaft
kam aus dem Haufen gestürzt und sagte, ich solle auch mit demonstrieren!! Ich sagte:
,Ich bin nicht katholisch und habe die Rede nicht selbst gehört, kann mir kein Urteil bilden.'Da
sagte sie, darauf käme es nicht an, nur auf die national-sozialistische Gesinnung etc. Ich verdrückte
mich trotzdem schleunigst ins Dunkle. Furchtbar, wenn die Leute so losgelassen sind
und die Lust am ,Demonschtrieren'kriegen. Die meisten waren gar nicht in der Kirche gewesen
und haben die , Hetzrede' gar nicht mal selbst gehört, habe ich nachher festgestellt. Am nächsten
Tag kam die Gestapo und alles wurde vernommen und untersucht. - Frau Bartenstein sagt,
wir brauchen nicht mehr ins Kino zu gehen, alle Augenblicke ist hier ein anderes Theater.13

70 Nach dem Krieg wurden auf eine Anzeige hin die Käufer vom Badischen Landesamt für kontrollierte Vermögen
, das den von den Nationalsozialisten geraubten Besitz für die früheren Eigentümer verwaltete, ermittelt. Dabei
konnte auch festgestellt werden, dass die verkauften Stücke s. Zt. einen erheblich höheren Wert besaßen als
den damals bezahlten. StAF, F 200/7 Nr. 766, 1087 und 1365.

71 Elisabeth Müller meldete sich am 15.1.1939 wieder in Hannover an. StadtAH, Meldekarte Elisabeth Müller.

72 Fest des hl. Hilarius: 14. Januar. Der Sonntag fiel 1939 auf den 15. Januar.

73 Elsa von Holzing am 22.1.1939 an Karola von Brauer. GLA (wie Anm. 30), Fasz. 73. Altbürgermeister Herrmann
, der 1939 bei dem feierlichen Hochamt mit zwei Patres aus Freiburg Messdiener war, hat die Vorfälle in
einem Gespräch mit dem Verfasser ganz ähnlich geschildert. - Die Auseinandersetzung Elsa von Holzings mit
dem Bürgermeister drehte sich offensichtlich um den Plan der Gemeindeverwaltung, auf den „Schlossmatten"
der Familie von Holzing eine Wohnsiedlung zu bauen, womit diese nicht einverstanden war. Das sorgte offenbar
für Aufregung gerade unter den Bollschweiler Parteianhängern; Elsa von Holzing erhielt einen Drohbrief, für den
sie eine Entschuldigung der Gemeinderäte verlangte, wie sie in ihrem Brief schreibt. - Die Majorswitwe Viktoria
Bartenstein erwarb 1918 das im Bollschweiler Unterdorf gelegene sogenannte „Kukuksbad". Sie richtete dort
ein christliches Kindererholungsheim ein. Frau Bartenstein hatte eine enge, gute Beziehung zur Familie von Holzing
. ... Von 1936 an bekam [sie] ... keine Kinder mehr in ihr Heim, weil sie nicht in der NS-Partei war. Die Nazis
wollten keine privaten Kinderheime. Mitteilung von Frau Ingrid Metzger-Buddenberg, Basel, vom 11.7.2007.
Postkartenansichten des „Kukuksbads" bei Diener (wie Anm. 25), S. 54f, dessen Zeitangaben zum Barten-
steinschen Kinderheim nicht korrekt sind.

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