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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 221
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II

Verfolgung und Vernichtung
Dr. med. Elisabeth Müller (1895 Hannover-1944 Auschwitz) und ihre Familie

Elisabeth Rosa Müller wurde am 22. Juni 1895 in Hannover - in der elterlichen Wohnung in
der Rumannstraße 25 - als zweites von vier Kindern geboren.78 Der Vater Siegfried Müller,
Bankier und Handelsgerichtsrat, stammte aus dem niedersächsischen „Flecken" Adelebsen im
damaligen Kreis Northeim, wo er 1855 als Sohn des Fabrikanten Gottschalk Müller und der
Rosette Meyenberg zur Welt gekommen war. Das Ehepaar hatte sieben Kinder, von denen die
drei ältesten um die Jahreswende 1851/52 innerhalb weniger Tage an einer epidemischen
Krankheit starben. Sie trugen übrigens noch die traditionellen jüdischen Namen Jizchak, Sche-
lomo und Freidche, während den später geborenen Kindern - Pauline, Adolf, Siegfried und
Hermann - gängige deutsche Namen zugelegt wurden, ein Hinweis auf die beginnende Assimilation
der Familie an das christliche Umfeld.79

Elisabeth Müllers Großvater war vermutlich in der Baumwollfabrikation tätig; denn zu den
Pionieren der Baumwollweberei in Adelebsen gehörten die jüdischen Familien Meyenberg und
Müller. Gottschalk Müller zählte damit zu den begüterten Juden Adelebsens, „die um die Mitte
des 19. Jahrhunderts etwa ein Zehntel der Bevölkerung des Fleckens ausmachten", von denen
jedoch „nur wenige ... im Wohlstand" lebten. Aber auch seine wirtschaftliche Situation verschlechterte
sich mit dem raschen Niedergang der Baumwollproduktion Ende der 50er-Jahre
zusehends.80 So verwundert es nicht, dass die Söhne wie viele andere arbeitssuchende Einwohner
auch, denen das einheimische Gewerbe nur unzureichende Beschäftigung bot, Adelebsen
verließen und in die Städte zogen, die eher beruflichen Erfolg versprachen: Adolf Müller
, der Älteste, ging nach Holzminden, Hermann, der Jüngste, nach Göttingen, während sich
Siegfried Müller, damals gerade zwanzig Jahre alt, für Hannover entschied.

Freizügigkeit und freie Wahl des Berufes waren Errungenschaften, die den Juden im Königreich
Hannover bereits 1848 gewährt worden waren - mit einer Änderung der Landesverfassung
, die ihnen die volle rechtliche Gleichstellung brachte: Die Ausübung der politischen und
bürgerlichen Rechte ist von dem Glaubensbekenntnisse unabhängig, hieß es darin. Die gesellschaftlich
-soziale Umsetzung ging allerdings nur zögerlich vonstatten.81 Erst mit dem wirtschaftlichen
Aufschwung, den die größeren Städte mit der wachsenden Industrialisierung auf
zahlreichen Ebenen nahmen, boten sich den jüdischen Bürgern neue Möglichkeiten. Allerdings
wurden diese von ihnen zunächst meist in herkömmlicher Weise, in der Erweiterung der kom-

78 Vgl. die Kurzbiographie Elisabeth Müllers in Eduard Seidler: Jüdische Kinderärzte 1933-1945: entrechtet - geflohen
- ermordet. Erw. Neuaufl. Basel u.a. 2007, S. 296f. Herrn Prof. Dr. Seidler danke ich sehr für die Unterstützung
meines Vorhabens. - Vgl. ferner Udo Benzenhöfer: Jüdische Ärzte in Hannover 1933 bis 1945 (Studien
zur Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus 3). Wetzlar 2000. S. 91 f. In einzelnen Angaben fehlerhaft
ist die Kurzbiographie in Ernst G. Lowenthal: Bewährung im Untergang. Ein Gedenkbuch. Stuttgart 1965,
S. 190. Auf Lowenthal stützen sich, mit Übernahme der Fehler, die Publikationen von Walter Tetzlaff: 2000
Kurzbiographien bedeutender deutscher Juden des 20. Jahrhunderts. Lindhorst 1982, S. 242f. und Joseph Walk:
Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918-1945. München 1988, S. 273.

79 Pauline Müller - zu den Brüdern siehe die Angaben weiter unten -, geb. am 30.6.1852, gest. 1912, war verheiratet
mit Moritz Oppenheimer in Heidelberg. Stammtafel Gottschalk Müller. Familienarchiv Eilon.

80 Cord Alphei: Geschichte Adelebsens und Lödingsens. Göttingen 1990, S. 110 und 116f.

81 Siegfried Schütz: Das Judenrecht im Kurfürstentum und Königreich Hannover. In: Juden in Niedersachsen. Hg.
von Rainer Sabelleck. Hannover 1994, S. 57-82, hier S. 81. Peter Aufgebauer: Zur Geschichte der Juden in
Niedersachsen. In: Jüdischer Glaube - Jüdisches Leben. Juden und Judentum in Stadt und Universität Göttingen.
Hg. von Elmar Mittler und Berndt Schaller. Göttingen 1996, S. 108-122, hier S. 121.

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