Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 225
(PDF, 57 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0225
Die „Salia" war 1884 als Reaktion auf den Ausschluss jüdischer Studenten aus den traditionellen
Korporationen als „paritätische" Studentenverbindung gegründet worden. Anders als die
Traditionsverbände, anders aber auch als die zeitgleich entstehenden rein jüdischen Korporationen
, die sich bewusst zu jüdischer Kultur und Religion bekannten, standen die paritätischen
Verbindungen allen deutschen Studenten offen, unabhängig von ihrer Abstammung und Glaubensüberzeugung
.94 Allerdings brachten sie es „infolge mangelnden Integrationswillens auf der
nichtjüdischen Seite nie zu wirklicher Parität". Und obwohl sie „das Ideal interkonfessioneller
Verbrüderung hartnäckig aufrechterhielten", blieben sie „de facto ... fast rein jüdische Verbindungen
".95 Deshalb musste sich die „Salia" auch trotz dezidiert deutsch-vaterländischer Gesinnung
mehrfach gegen antisemitische Angriffe aus dem ,arischen' Lager und gegen ihre Einstufung
als jüdische Verbindung wehren. Da sie jedoch dem 1905 gegründeten „Verband schlagender
Korporationen Würzburgs" angehörte, mit dessen Vorsitz sie drei Mal betraut wurde,
durfte sie sich lange der allgemeinen Anerkennung sicher fühlen - bis der Verband 1919 ganz
ins völkische Lager abdriftete und die „Salia", die der Aufforderung zum freiwilligen' Austritt
nicht nachkam, ausgeschlossen wurde.96

Es ist aufschlussreich für die gesellschaftspolitischen Überzeugungen Ernst Müllers, dass er
Mitglied einer Verbindung wurde, die in ihren Merkmalen wie Farben, Mensur, unbedingte Satisfaktion
gänzlich dem Erscheinungsbild der traditionellen deutschen Korporationen entsprach
-jedoch einer paritätischen, nicht einer der jüdischen, die mit der Betonung jüdischer
Traditionen ein Gegengewicht gegen allzu weitgehende Assimilationsbestrebungen setzen
wollten. Ebenso aufschlussreich ist es freilich, dass sich Ernst Müller auch nicht für jene damals
neu entstehenden „Sozialwissenschaftlichen Studentenvereine" interessierte, die sich
ganz von überkommenen Korporationsformen abwandten, sich mit den sozialpolitischen Problemen
der Zeit beschäftigten und deshalb vor allem Studenten - und vielfach jüdische Studenten
- anzogen, die später der Sozialdemokratie nahestanden.97

Ein unbedingtes Bekenntnis zur deutschen Kultur, verbunden mit einem begeisterten Patriotismus
und einer politisch konservativen Haltung, dazu eine wachsende Entfremdung von jüdisch
-religiösen Traditionen, diese im deutschen Judentum der Zeit vielfach anzutreffenden
Tendenzen98 kennzeichnen offenbar auch Ernst Müllers Überzeugungen dieser Jahre - und es

94 Vgl. die „Statuten der Freien schlagenden Verbindung .Salia' Würzburg". Würzburg 1914. An der Gründung waren
, bedingt durch die Umstände, ausschließlich jüdische Studenten beteiligt. Beabsichtigt und bis 1918 konsequent
angestrebt war aber eine offene Verbindung. Die Bildung rein jüdischer Studentenvereine wurde abgelehnt
, da diese der Absonderung von den Nicht-Juden Vorschub leisteten. Vgl. Anm. 105.

95 Eva G. Reichmann: Der Bewusstseinswandel der deutschen Juden. In: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution
1916-1923. Hg. von Werner E. Mosse (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck
Instituts 25). Tübingen 1971, S. 511-612, hier S. 581.

96 Thomas Schindler: Studentischer Antisemitismus und jüdische Studentenverbindungen 1880-1933 (Historica
academica 27). Nürnberg 1988 (zur „Salia": S. 94ff„ 109, 117 und 155ff.). Ders.: „Was Schandfleck war, ward
unser Ehrenzeichen Die jüdischen Studentenverbindungen und ihr Beitrag zur Entwicklung eines neuen
Selbstbewusstseins deutscher Juden. In: „Der Burschen Herrlichkeit". Geschichte und Gegenwart des studentischen
Korporationswesens. Hg. von Harm-Hinrich Brandt und Matthias Stickler. Würzburg 1998, S. 337-
365. Vgl. auch Yehuda Eloni: Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914 (Schriftenreihe des Instituts
für Deutsche Geschichte. Universität Tel Aviv 10). Gerlingen 1987. S. 412 ff („Die .Zionisierung' der Studentenverbindungen
").

97 Vgl. hierzu Hans Schadek: Robert Grumbach 1875-1960. Jüdischer Rechtsanwalt, Sozialdemokrat und Stadtrat
, Ehrenbürger von Freiburg (Stadt und Geschichte. Neue Reihe des Stadtarchivs Freiburg im Breisgau 20).
Freiburg 2007, S. 23ff.

98 Vgl. die frühe Untersuchung von Felix A. Theilhaber: Der Untergang der deutschen Juden. Eine volkswirtschaftliche
Studie. München 1911, bes. S. 88ff. - Auf die Komplexität der sozialen und kulturellen Integration
der Juden in die deutsche Gesellschaft, die häufig mit einer wachsenden Distanz zum jüdischen Glaubens- und
Gemeindeleben zusammenging, kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. Shulamit Volkov: Jüdische Assimilation
und Eigenart im Kaiserreich. In: Dies.: Antisemitismus als kultureller Code (Beck'sche Reihe 1349). München
^2000. S. 131-145.

225


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0225