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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 231
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künde konzentriert hat.120 Nachdem sie ihre Ausbildung an verschiedenen Kinderkliniken beendet
hatte, ließ sie sich 1925 als „Fachärztin für Säuglingspflege und Kinderkrankheiten" in
Hannover nieder.121 Sie erwarb sich schnell einen guten Ruf; ihre Praxis florierte, wie ein Kollege
, ehemals Oberarzt der Hannoverschen Kinderheilanstalt, nach dem Krieg aussagte. Wesentlich
trug dazu sicherlich ihr freundliches und offenes Wesen bei, das mehrfach bezeugt
ist.122

Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit beschäftigte sich Elisabeth Müller weiterhin mit wissenschaftlichen
Fragen und Problemstellungen ihres Faches. Sie arbeitete dabei mit dem Hannoveraner
Kinderarzt Dr. Kurt Blühdorn zusammen, den sie bereits in Göttingen kennengelernt
hatte. Blühdorn hatte an der dortigen Universität eine außerordentliche Professur für Pädiatrie
inne, die er auch nach seiner Niederlassung in Hannover 1924 weiter betreute.123 1930 veröffentlichten
beide gemeinsam, als Beiheft zur Fachzeitschrift „Medizinische Klinik", einen umfangreichen
Beitrag mit dem Titel „Ausgewählte Kapitel aus dem Gebiet der Säuglings- und
Kinderheilkunde", in dem sie die neuere Forschungsliteratur zu einer ganzen Reihe von Themen
zusammengefasst und kommentiert vortrugen.124

Ihre Kenntnisse als Kinderärztin stellte Elisabeth Müller, wie bereits angeführt, auch der Jüdischen
Gemeinde Hannover zur Verfügung. Wie der nach New York emigrierte Hannoveraner
Kaufmann Rudolf Herzberg später bezeugte, hat sie mit großem Interesse in der Repräsentanz
der Synagogengemeinde Hannover als deren von der Gemeinde gewählten Vertreter gearbeitet
- das deutet auf eine offizielle Funktion im Bereich der Zentralstelle für Wohlfahrtspflege
hin, dessen Leiter Herzberg war. Unter ihm hat Elisabeth Müller offenbar die Durchführung
von Ferienkolonien und anderer Vorhaben der Kindererholung mitgeplant und mit ihrem
fachärztlichen Rat begleitet.125

Der Antisemitismus meldete sich in Hannover, wo seit 1921 eine Ortsgruppe der NSDAP126
agitierte, schon früh lautstark zu Wort. „Wiederholt wurden die religiösen Stätten der Juden geschändet
", wurde die Synagoge besudelt: so 1927 mit sechs riesigen Hakenkreuzen in roter

120 Vgl. für die Geschichte der jüdischen Ärzte und Ärztinnen in der Kinderheilkunde die informative Einführung
von Seidler (wie Anm. 78), S. 14ff.

121 Von einer vierjährigen Berufsausbildung in Kinderkliniken spricht ihre Schwester Marga Müller im Wiedergutmachungsverfahren
; wie Anm. 49. Vor der Praxiseröffnung hielt sich Elisabeth Müller nach Ausweis ihrer Meldekarte
in Heidelberg auf, wo sie möglicherweise an einer Kinderklinik arbeitete. - Die Praxis befand sich
zunächst in der Königsstraße 39, ab 1927 in der Lavesstr. 64. Adressbücher der Stadt Hannover.

122 Erklärung des christlichen Kinderarztes Dr. med. Wilhelm Riehn vom 9.2.1959 im Wiedergutmachungsverfahren
Goldschmidt; wie Anm. 49. - Bei uns hieß sie nur Tante Lieschen, und wir hatten sie sehr gern, hielt später
ihr Neffe Herbert Porta fest; wie Anm. 109.

123 Kurt Blühdorn verlor 1933 seine Professur, 1938 seine Approbation. 1939 gelang ihm in letzter Minute die Emigration
nach New York. 1942 eröffnete er, nachdem er das amerikanische Staatsexamen bestanden hatte, wieder
eine eigene Praxis. Sein Wiedergutmachungsverfahren dauerte - ans Skandalöse grenzend - jahrelang. Udo
Benzenhöfer: Auswanderung als Flucht: Zum Lebensgang des jüdischen Pädiaters Prof. Dr. Kurt Blühdorn
(1884-1982). In: Monatsschrift für Kinderheilkunde (im Erscheinen). Ich danke Herrn Prof. Benzenhöfer für die
Bereitstellung des Druckmanuskripts. Vgl. auch Seidler (wie Anm. 78), S. 294f. sowie Anikö Szabö: Vertreibung
, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus (Veröffentlichungen
des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen [nach 1945] 15). Hannover 2000, S.
391 ff.

124 Beihefte zur „Medizinischen Klinik". Bd. 26, H. 2 (1930).

125 Vgl. die eidesstattliche Erklärung Rudolf Herzbergs vom 18.12.1958. Wie Anm. 49. Herzberg war Inhaber der
Hannoveraner Ledergroßhandlung Adolf Herzberg. Zu der im Sommer 1928 von der Zentralstelle für Wohlfahrtspflege
in der Synagogengemeinde Hannover veranstalteten Ferienkolonie vgl. Nachrichtenblatt. Jüdische
Wochenzeitung. Amtliches Organ für die Synagogen-Gemeinden Hannover und Braunschweig. 15.6.1928 Nr.
23.

126 Zur NSDAP Hannover vgl. Klaus Mlynek: Hannover in der Weimarer Republik und unter dem Nationalsozialismus
. In: Geschichte der Stadt Hannover. Bd. 2: Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Hannover
1994, S. 405-577, hier S. 455ff.

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