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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 232
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0232
Farbe und der Aufschrift „Schlagt die Juden tot".127 Das Jahr 1933 brachte den Einstieg in dieses
so deutlich geäußerte Programm. Hatte das „Nachrichtenblatt" der Synagogengemeinde
Hannover zur Jahreswende 1932/33 noch die vorsichtige Prognose gewagt, die Gefahr einer
nationalsozialistischen Alleinherrschaft sei angesichts der rückläufigen Wahlerfolge der
NSDAP wohl in weite Ferne gerückt,m so hatte sich wenig später die Hoffnung auf eine Niederlage
der Demagogen in Nichts aufgelöst. Die Nazis herrschten, und sie ließen über den Charakter
dieser Herrschaft von Anfang an keine Zweifel aufkommen. Am 1. April rief die Reichsregierung
zum „Judenboykott", zum Boykott jüdischer Geschäfte jüdischer Rechtsanwälte und
Ärzte auf. Auch vor der Praxis von Elisabeth Müller erschienen SA-Posten, die jeden christlichen
Besucher auf die Folgen aufmerksam machten, die die Inanspruchnahme von Juden für
sie haben konnten. Das hatte zur Folge, dass langjährige Patienten nun allmählich fernblieben,
da nur wenige bei fortdauerndem Naziterror den Mut autbrachten, weiterhin einen jüdischen
Arzt zu konsultieren.129 Für Elisabeth Müller waren diese Konsequenzen allerdings bedeutungslos
, hatten doch die neuen Machthaber mit der vom Reichsarbeitsministerium noch im
April erlassenen „Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen
"130 einen bequemen Weg gefunden, viele ,nichtarische' Ärzte durch den Entzug der
Kassenzulassung zu ruinieren. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Patienten Kassenpatienten
waren, verwundert es nicht, dass der schlichte Satz Die Tätigkeit von Kassenärzten
nichtarischer Abstammung wird beendet Elisabeth Müller dazu zwang, ihre Praxis zu schließen
- von den wenigen Privatpatienten konnte sie nicht leben. Auch auf sie traf zu, was der „Zen-
tralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau" für viele der ausgeschalteten Ärzte
Ende 1933 feststellte: Es besteht... eine dringende Notlage, da ihre geringen Ersparnisse in
kurzer Zeit aufgebraucht sein werden.131

Für Elisabeth Müller kam erschwerend hinzu, dass ihre Eltern inzwischen ebenfalls in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geraten waren. Die Privatbank „Oppenheimer & Müller" hatte
zwar die Kriegsjahre, in der das Bankgeschäft allgemein schlecht ging, überstanden und wohl
auch an dem raschen Aufschwung, den das Bankgewerbe nach dem Krieg nahm, noch teilgehabt
. Doch war diese Entwicklung nicht von Dauer gewesen. Die scharfe Konkurrenz untereinander
, verbunden mit der großen Wirtschaftskrise, zwang bald eine Reihe von Hannoveraner

127 Peter Schulze: Beiträge zur Geschichte der Juden in Hannover (Hannoversche Studien 6). Hannover 1998, S.
32. Die Täter kamen wie üblich außerordentlich glimpflich davon. Vgl. den Prozessbericht in: Nachrichtenblatt
(wieAnm. 125), 11.5.1928 Nr. 18.

128 Ausführlicher zitiert von Schulze (wie Anm. 127), S. 189.

129 Dr. Kurt Blühdorn berichtete in seinem Entschädigungsantrag: Wie vor anderen jüdischen Unternehmungen waren
auch in Hannover bei jüdischen Ärzten SA-Posten aufgestellt, die jeden christlichen Besucher auf die Folgen
aufmerksam machten, die die Inanspruchnahme von jüdischen Ärzten für sie haben konnten. Es war daher
ganz offensichtlich, dass viele alte Patienten jüdische Ärzte zu vermeiden suchten. Denn es gehörte Mut dazu,
insbesondere mit dem fortbestehenden Naziterror bei einem jüdischen Arzt zu bleiben. Blühdorns Einkommen
ging nach 1933 drastisch zurück. Benzenhöfer (wieAnm. 123). Vgl. für den Boykott in Hannover auch Schulze
(wieAnm. 127), S. 189f.

130 Ausgenommen waren von der Regelung Ärzte, die bereits am 1.8.1914 approbiert waren, bzw. jene, die im Weltkrieg
als Frontkämpfer gedient hatten oder deren Väter oder Söhne gefallen waren. Die Verordnung ist abgedruckt
in: Das Sonderrecht der Juden im NS-Staat. Hg. von Joseph Walk. Heidelberg 21996, S. 16 Nr. 71. Vgl.
zur Verdrängung der Ärzte etwa Günter Plum: Wirtschaft und Erwerbsleben. In: Die Juden in Deutschland
1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hg. von Wolfgang Benz. München 1993, S. 268-
313, hierS. 288ff.

131 Die wirtschaftliche Lage der ausgeschalteten Ärzte ist eine überaus schwere, da die Einnahmen aus der Privatpraxis
außerordentlich zurückgegangen sind; außerdem sind die Einnahmen aller Ärzte durch Boykottmaßnahmen
und nebengesetzliche Handlungen erheblich eingeschränkt. Von den ausgeschalteten Ärzten besteht nach
den Erhebungen der Geschäftsstelle für 2000 [von ca. 4000] eine dringende Notlage, da ihre geringen Ersparnisse
in kurzer Zeit aufgebraucht sein werden. Arbeitsbericht (wie Anm. 18) (1933), S. 34.

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