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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 237
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0237
Krankenhaus zu Wohnräumen umfunktioniert, jede andere Möglichkeit der Unterbringung genutzt
. Nicht zu vermeiden war allerdings, dass die Heimbewohner nun, wie von den Nazis beabsichtigt
, auf wenigen Quadratmetern zusammenleben [mussten], immer mit anderen konfrontiert
ohne sich auch nur einmal in einen ruhigen Winkel zurückziehen zu können. Das
musste natürlich auch zu Spannungen und Konflikten führen, die es zu schlichten galt. Dazu
kam die Ungewissheit über das weitere Schicksal, die Insassen und Personal schwer belasteten
. Man arbeitet unter einer qualvollen Spannung, kennzeichnete damals eine der in der Fürsorge
tätigen Frauen ihre Arbeitssituation. Die Befriedigung, die die Arbeit jetzt hergibt, kann
nicht mehr größer sein; die Verzweiflung aber auch nicht. Dies kann auch für Elisabeth Müller
gelten, eine von nicht wenigen pflichtbewussten und opferbereiten jüdischen Frauen, die
sich in dieser Notlage - und es sollte ja noch schlimmer kommen - bei der Aufrechterhaltung
einigermaßen geordneter und würdiger Formen des Zusammenlebens besonders bewährt haben
.146

Die Konzentration in ,Judenhäusern' bereitete die Deportationen in die Vernichtungslager
des Ostens und nach Theresienstadt vor, die wenig später anliefen.147 Bereits am 15. Dezember
1941 ging ein erster Transport nach Riga; unter den Verschleppten waren 52 Bewohner der
Ellernstraße 16. Der Transport muss panische Angst unter den Zurückgebliebenen ausgelöst
haben, denn es war klar, dass mit weiteren Deportationen gerechnet werden musste. Auch
Elisabeth Müller wird in schwerer Sorge gewesen sein, vor allem wegen der Ungewissheit, ob
ihre Eltern den Strapazen einer Verschleppung noch gewachsen sein würden. In der mündlichen
Überlieferung der Familie heißt es, Elisabeth Müller habe ihren Eltern noch am Tage vor
der Deportation zum Freitod verholfen, um ihnen die bevorstehenden Schrecken zu ersparen.148
Das wäre dann im Hinblick auf den zweiten Hannoveraner Transport geschehen, der am 31.
März 1942 nach Trawniki bei Warschau abging und von dem auch Heiminsassen betroffen gewesen
sein dürften. Allerdings starb Angelika Müller bereits am 6. März, im 74. Lebensjahr,
Siegfried Müller, 87jährig, verschied wenig später am 18. März, beide im Israelitischen Krankenhaus
, wie in den Sterbeurkunden vermerkt wird, also offenbar auf der Krankenstation. Das
spricht eher dafür, dass sie den seelischen und körperlichen Belastungen nicht mehr gewachsen
waren. Sollte Elisabeth Müller allerdings frühzeitig von der drohenden Deportation erfahren
haben, ist es denkbar, dass sie ihren betagten Vater vor diesem Schicksal hat bewahren wollen
- nicht wenige der jüdischen Opfer haben sich auch in Hannover durch Freitod der Verschleppung
entzogen.149

Restlos geräumt wurden das jüdische Altersheim und ebenso das Krankenhaus mit dem dritten
Transport vom 23. Juli 1942; Kranke, Heimbewohner und Personal wurden nach Theresienstadt
verschleppt - unter ihnen auch Elisabeth Müller. 150 Zuvor jedoch wollte sich der

'<« Vgl. Thalmann (wie Anm. 140), S. 299ff.

147 Zwischen 1941 und 1945 gingen von Hannover aus acht Transporte mit 2.400 Juden in den Osten und nach Theresienstadt
. Mlynek (wie Anm. 126), S. 561.
I4X Wie Anm. 109.

149 Sterbeeinträge für Angelika Sara Müller geborene Cohen, mosaisch, Ellernstr. 16, verstorben am 6. März 1942,
10.05 Uhr, im Israelitischen Krankenhaus (Sterbeeintrag 582/1942) sowie für den Privatmann Siegfried Israel
Müller, mosaisch, Ellernstraße 16, am 18. März 1942, 0.15 Uhr, im Israelitischen Krankenhaus verstorben (Sterbeeintrag
667/1942). In den Ausfertigungen der Sterbeeinträge von 1957 sind die diskriminierend gemeinten Zusatznamen
Sara und Israel wieder getilgt. HStAH (wie Anm. 49). - Die Grabstätte des Ehepaars Müller auf einem
der Hannoveraner jüdischen Friedhöfe ist nicht auffindbar, da kein Grabstein mehr gesetzt werden konnte.
Mitteilung von Herrn Dr. Peter Schulze vom 13.5.2004. - Elisabeth Müller hat sich am 16. März ein bei einer
Speditionsfirma deponierte Kiste ins Heim bringen lassen (wie Anm. 152 ): möglicherweise war der Anlass dazu
der Transport vom 31. März, von dem sie dann sehr frühzeitig erfahren hätte. - Zu den jüdischen Hannoveranern,
die sich vor der Deportation das Leben nahmen, vgl. Schulze (wie Anm. 127), S. 201 ff.

150 Mit diesem Transport wurden auch entfernte Verwandte Elisabeth Müllers, alle bereits in hohem Alter, nach Theresienstadt
verschleppt: die Schwestern Rahel und Ida Müller (verheiratete Lamm), deren Cousin Julius Müller
mit seiner Frau Bertha geb. Krön schon am 15.2.1941 nach Riga deportiert worden war (die drei Genannten wa-

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