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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 238
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NS-Staat noch ihres Besitzes bemächtigen - und suchte sich dabei den Anschein von Rechtlichkeit
zu geben. Pompös wurde auf Weisung des Reichsministers der Finanzen verfügt: Aufgrund
des § 1 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933
... in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens
vom 14. Juli 1933 ... wird in Verbindung mit dem Erlass des Führers und Reichskanzlers über
die Verwertung des eingezoge-nen Vermögens von Reichsfeinden vom 29. Mai 1941 ... das gesamte
Vermögen der Jüdin Dr. Elisabeth Sara Müller... zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen
.

Freilich war da nicht mehr viel einzuziehen, bis auf 1527 RM aus dem Erbe ihrer soeben verstorbenen
Eltern, Geld, das ihnen ihr Schwiegersohn Paul Goldschmidt vor seiner Emigration
überwiesen hatte. Erbrechtliche Schwierigkeiten, die der Konfiskation entgegenstanden, umging
man in der Weise, dass man die Einziehungsverfügung rückwirkend auf den Tag datierte,
der dem Todestag Siegfried Müllers vorausging - damit handelte es sich nicht mehr um Erb-,
sondern um volks- und staatsfeindliches Vermögen, das zu beschlagnahmen war. Ansonsten
blieb das Formular zur Vermögenserklärung, das Elisabeth Müller abzuliefern hatte - ein Musterbeispiel
pedantisch-bürokratischer Ausplünderungl51 -, zur Enttäuschung der Behörden
mangels Masse weitgehend unausgefüllt. Noch 1943 aber fahndete der Oberfinanzpräsident bei
einer Speditionsfirma nach einer Kiste ... der nach Theresienstadt abgewanderten [!] Jüdin,
die dort gelagert sein sollte - allerdings vergeblich; Elisabeth Müller hatte sie sich im März des
Vorjahrs ins Altersheim zustellen lassen.152

Auch dies kann als Hinweis genommen werden, dass sich Elisabeth Müller über die Absichten
der Nazis im Klaren war und sich frühzeitig auf das Äußerste vorbereiten wollte. Denn
es verstand sich für sie von selbst, dass sie die ihr anvertrauten alten Menschen auf dem Transport
und nach der Ankunft im Lager weiter betreute, sofern dies möglich war. Die Mitteilung,
dass der dritte Transport mit 779 Personen aus Hannover und Umgebung153 nicht nach dem
Osten, sondern nach Theresienstadt154 gehen sollte, mag bei vielen der Betroffenen Erleichterung
ausgelöst haben. Hatten die Nazis doch alles unternommen, Theresienstadt, das zunächst
als Sammellager für die Juden des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" konzipiert worden
war, als Aufenthaltsort für die älteren deutschen und österreichischen Juden im schönsten
Licht erscheinen zu lassen. Viele „fuhren mit der Überzeugung ab, dass sie in einem privile-

ren Enkelinnen bzw. Enkel des Aron Isaac aus Adelebsen aus dessen zweiter bzw. dritter Ehe. Mitteilung von
Herrn Dr. Peter Schulze, Hannover). Rahel Müller starb in Theresienstadt am 16.4.1943, Ida Müller am
22.4.1944. Vgl. Peter Schulze: Namen und Schicksale der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Hannover
. Hannover 1995, S. 29, 33; Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland
nach Theresienstadt 1942-1945. Hg. vom Institut Theresienstädter Initiative. Prag 2000, S. 470, 471 f.; Gedenkbuch
(wie Anm. 84), S. 2469, 2473 und 2475.

151 In dem 16-seitigen Formular mussten die Deportierten von ihrer Kleidung und ihrem Wohnungsinventar jede
Kleinigkeit, jeden Strumpf, jeden Schal, jeden Bettvorleger, jeden Papierkorb, jeden Kohlenkasten, jeden Föhn
usw. usw. mit Wertangaben auflisten. Das Formular ist teilweise abgedruckt bei Hans-Günther Adler: Die verheimlichte
Wahrheit. Theresienstädter Dokumente. Tübingen 1958, S. 65ff.

152 Die Verfügung des Regierungspräsidenten von Hannover zum Vermögenseinzug, die bereits am 1.7.1942 ausgefertigt
worden war, wurde Elisabeth Müller in der Gartenbauschule Ahlem, die als Sammellager für den Abtransport
diente, am 22.7. ausgehändigt. HStAH, (wie Anm. 114). - Vgl. für den Gesamtkomplex „Deportationen
und Vermögensverwertung" die Untersuchung von Martin Friedenberger: Die Rolle der Finanzverwaltung
bei der Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung der deutschen Juden. In: Die Reichsfinanzverwaltung im
Nationalsozialismus. Darstellung und Dokumente. Hg. von Martin Friedenberger, Klaus-Dieter Gössel und
Eberhard Schönknecht. Bremen 2002, S. 10-24, hier S. 21 ff.

153 Nur 75 Personen überlebten. Theresienstädter Gedenkbuch (wie Anm. 150), S. 64.

154 In Theresienstadt waren die Häuserblocks mit Großbuchstaben von A bis J und mit römischen Ziffern von I bis
VII bezeichnet. Straßennamen wurden erst 1943 im Zuge der .Verschönerung' (siehe weiter unten) eingeführt,
bis dahin trugen die Längsstraßen die Kennzeichnung LI bis L6, die Querstraßen Ql bis Q9. Vgl. Hans-
Günther Adler: Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen 21960, S. XX-
XIV und XLIV

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