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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 242
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nutzt wurde - eine Stätte unsagbaren Elends mit seinen muffigen vollgestopften Zimmerchen
mit Tuberkulösen und hilflosen Greisen.161

Elisabeth Müllers Mitteilung an die Freundin der Familie, dass es ihnen gut ginge, sollte vermutlich
auf sie beruhigend wirken, denn die Wirklichkeit sah anders aus. Die zu schildern hätte
allerdings die Lagerzensur auch nicht erlaubt.162

Die Überbelegung der Räume - im März 1944 lagen im Altersheim der Geniekaserne 408
Sieche - und die daraus resultierenden schlimmen sanitären und hygienischen Verhältnisse, das
unzureichende und meist kalt angelieferte schlechte Essen, der Mangel an Medikamenten und
einfachsten medizinischen Geräten, die Verseuchung der Wohnbereiche mit Läusen und Wanzen
, all das führte zu epidemieartigen Erkrankungen, denen im Herbst 1942 über zehntausend
Häftlinge zum Opfer fielen.163

Angesichts des ständigen Mangels an Pflegepersonal und Hilfskräften waren die wenigen
Ärzte und leitenden Pflegekräfte wie Elisabeth Müller in einem kaum vorstellbaren Maße gefordert
. An ihre Improvisationsfähigkeit, ihre Geduld und ihre Bereitschaft zur Zuwendung an
die Pfleglinge, denen sie mit einfachen Mitteln, Hausbibliotheken, Vorlesungs- und Gesangsveranstaltungen
das trübe Dasein ein wenig zu erleichtern suchten,164 wurden höchste Anforderungen
gestellt. Allerdings, was sie auch taten, es „blieb weit hinter den Erfordernissen
zurück". Doch resignierten sie nicht, und so gilt auch für Elisabeth Müller, was einer der Ärzte
festgehalten hat: „Nicht einmal in den furchtbarsten Zeiten der Epidemien und des Massensterbens
ließen sich die Angehörigen des Gesundheitsdienstes von der Hoffnungslosigkeit
übermannen."165 Und vielleicht ist mit dem Zeugnis eines Deportierten, der seine Mutter im
Altersheim der Geniekaserne unterbringen konnte, eine Spur vom Wirken und Wesen Elisabeth
Müllers überliefert: Das Zimmer, in dem sie lag, so berichtet er, war nicht übermäßig erfreulich
. Die meisten Mitbewohner ... sprachen nur von ihrer Krankheit oder vom Essen. ...
Nur die Arztin war über alles Lob erhaben und zeigte für Mutter ein rührendes Interesse.166

Dabei vollzog sich Elisabeth Müllers tägliches Leben und Arbeiten in einer Situation ständiger
Bedrohung - wie alle in Theresienstadt musste sie damit rechnen, von einem Tag auf den
andern in eines der Schreckenslager im Osten weiter verschickt zu werden; schon kurz nach
ihrer Ankunft waren im September 1942 in fünf Alterstransporten fast 7000 deutsche Juden
nach Treblinka abgeschoben und dort ermordet worden.167 Eine Pause trat in den Deportatio-

161 Zum Ausbau der Altersheime vgl. Adler (wie Anm. 154), S. 80. - Die Tuberkuloseerkrankungen griffen in Theresienstadt
epidemieartig um sich; in der Geniekaserne lagen etwa 800-1000 offene Tuberkulosefälle. Weglein
(wie Anm. 158). S. 53f.

162 Die Mitteilungen aus den Konzentrationslagern standen alle unter dem doppelten Druck der Zensur und der
Rücksichtnahme auf Angehörige. Vgl. Doetzer (wie Anm. 46), S. 14 und 26ff.

163 Zu den Todeszahlen und zu den hygienischen Verhältnissen vgl. Kärny (wie Anm. 155), S. 21. - Der Märzbericht
1944 stellte für das Altersheim der Geniekaserne fest, dass die Belegung immer noch viel zu hoch war. Die
Absicht, Kleidungsstücke und Handgepäck in gesonderten Räumen unterzubringen, um dadurch die Ordnung
und vor allem die Sauberkeit in den Siechenzimmern zu verbessern, wurde durch den ständigen Zugang an hilfsbedürftigen
alten Menschen ad absurdum geführt. Auch gingen durch Erweiterung der Tbc-Station Betten verloren
. Es brach eine Wanzenplage in E lila aus: sie grenzte ans Unerträgliche. Die Patienten schlafen meist am
Tage, da sie die Nächte auf ihren Betten sitzend verbringen, soweit sie dazu imstande sind. Gleichzeitig war zu
bemängeln, dass zu kleine und nur selten warme Essensportionen ausgegeben wurden. Adler (wie Anm. 151),
S. 208ff. bzw. (wie Anm. 154), S. 544f.

164 Adler (wie Anm. 154), S. 543. Weglein (wie Anm. 158), S. 53.

165 Vgl. Erich Springer: Gesundheitswesen in Theresienstadt. In: Theresienstadt. Wien 1968, S. 127-135. - Der
Mangel an Personal und die eigene schlechte Lage ließ allerdings auch Pflegekräfte, „wenn sie nicht eine fast
übermenschliche Selbstverleugnung aufbrachten", an ihrer Aufgabe scheitern. Vgl. Adler (wie Anm. 154), S.
154.

166 Heinrich F. Liebrecht: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da". Mein Weg durch die Hölle des Dritten Reiches
. Freiburg 1990, S. 92 und 97.

167 Zu diesen und weiteren Transporten vgl. Kärny (wie Anm. 155), S. 23, 26 und 30f.

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