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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 245
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0245
den bestand.178 Vor die Berufswahl gestellt entschied sich Adolf Heitier für das Universitätsstudium
und damit gegen den für Juden bis dahin traditionellen, weil lange Zeit allein offenstehenden
Beruf im Handel oder Geldgeschäft. Er beschloss, Technik zu studieren. Das Fach
zählte, wie Jura und Medizin, auch in den habsburgischen Ländern zu jenen Studienfächern,
die bei den jüdischen Schulabgängern am beliebtesten waren. Denn auch dort gab es als Alternative
zum Staatsdienst oder zur Universitätslaufbahn, die ungetauften Juden auch nach
Wegfall aller offiziellen Schranken und gegen bestehendes Recht vielfach immer noch verschlossen
waren - allerdings wohl nicht ganz so krass wie im Deutschen Reich -, nur die Möglichkeit
der freien Berufswahl.179 So immatrikulierte sich Adolf Heitier an der deutschen Technischen
Hochschule - in Prag gab es seit 1869 eine deutsche und eine tschechische TH180 - ,
an der er dann 1883 die erste Staatsprüfung mit sehr gutem Erfolg bestand.

Seine berufliche Laufbahn begann Adolf Heitier bei der Prager „Maschinenbau-Aktiengesellschaft
vorm. Ruston und Cie". Drei Jahre später ging er nach Königsberg, wo er mehrere
Jahre lang als Konstrukteur bei der bedeutenden „Lokomotiv-Fabrik und Gießerei-Union" arbeitete
. Nach seiner Anstellung in Berlin heiratete er 1895 in Brünn Ottilie Rudolph, die ebenfalls
aus Böhmen stammte und am 21. Juni 1876 als Kind jüdischer Eltern - des Isaak Rudolph
und der Sara Weiß - in Kolin zur Welt gekommen war.181

Bereits zwei Jahre nach der Hochzeit zog das junge Ehepaar aus dem großstädtischen Berlin
in die badische Residenzstadt Karlsruhe. Adolf Heitier hatte sich um die etatmäßige Lehrstelle
für Maschinenbau beworben, die 1897 von der Großherzoglichen Baugewerke-Schule in
Karlsruhe - der Vorläuferin der heutigen Fachhochschule - ausgeschrieben worden war. Ausgewiesen
durch eine für einen 35-Jährigen über alles Erwarten erfolgreiche praktische und reiche
Geschäftstätigkeit schlug die Schuldirektion, die sich auch durch Heitiers persönliches
Auftreten beim Vorstellungsgespräch sehr angetan zeigte, dem Ministerium vor, ihn als den mit
Abstand qualifiziertesten unter den 13 Mitbewerbern - unter Ernennung zum Professor - mit
der Stelle zu betrauen. Wenig später erfolgte die Berufung durch den Großherzog.182

Was mag Adolf Heitier veranlasst haben, seine gute Position in der wirtschaftlich expandierenden
Reichshauptstadt mit ihrem lebendigen kulturellen Leben aufzugeben und in die kleinstädtische
badische Residenzstadt zu wechseln? Vermutlich war es zum einen - neben dem
fachlichen Reiz, den die neue Aufgabe bot - das höhere Sozialprestige, das mit der Stellung im
Staatsdienst verbunden war, auch wenn eine Professur an der Baugewerkeschule nicht jenes

178 Zum soziokulturellen Leben der Prager Volksgruppen - auch zu den Schulen, unter denen die deutschen, gegenüber
den tschechischen, von den Prager Juden bevorzugt wurden - vgl. Gary B. Cohen: The politics of eth-
nic survival: Germans in Prague, 1861-1914. Princeton/New Jersey 1981, insb. S. 224f.; ferner Ders.: Deutsche,
Juden und Tschechen in Prag: das Sozialleben des Alltags, 1890-1914. In: Allemands, Juifs et Tcheques ä Prague
de 1890 ä 1924. Actes du colloque de Montpellier, decembre 1994. Hg. Von Maurice Gode u.a. (Biblio-
theque d'Etudes Germaniques et Centre-Europeennes 1). Montpellier 1996, S. 55-69, hier S. 57ff. - Jan Ha-
vranek: Structure sociale des Allemands, des Tcheques, des chretiens et des juifs ä Prague ä la lumiere des sta-
tistiques des annees 1890-1930. In: Ebd., S. 71-81, hier S. 78ff.

179 „Da der Staatsdienst den Juden [auch nachdem das Staatsgrundgesetz für die habsburgischen Länder von 1867
alle Beschränkungen außer Kraft gesetzt hatte] allgemein verschlossen blieb, suchten die jüdischen Akademiker
in freien Berufen ihr Glück." Soweit Juden an den habsburgischen Universitäten erfolgreich waren, war in der
Regel „die Taufe die stillschweigende Voraussetzung für die akademische Karriere". Hugo Gold: Geschichte
der Juden in Wien. Tel-Aviv 1966, S. 35f. Günstiger beurteilt die Situation in der Habsburger Monarchie Pul-
zer: Rechtliche Gleichstellung (wie Anm. 93), S. 153ff. („Staatsdienst: die halb geöffnete Tür").

180 Cohen: The politics (wie Anm. 178), S. 133f. Otto Urban: Die tschechische Gesellschaft 1848-1918. Bd. 1.
Wien u.a. 1994, S. 521.

181 Stammtafel der Familien Rudolph/Hehler. Mitteilung Prof. Rasche (wie Anm. 177). Vgl. auch die Personalkarte
Ottilie Heitiers aus der von der Polizeidirektion Baden-Baden angelegten Judenkartei'; wie Anm. 227. Sie starb
am 25.6.1972 in Clontarf/Irland.

182 Großherzog Friedrich I. übertrug am 12.8.1897 dem Oberingenieur Adolf Heitier in Berlin unter Ernennung desselben
zum Professor ... eine etatmüßige Professorenstelle an der Baugewerkeschule. GLA, 235/8135.

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