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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 254
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Ganz ebenso wie in Baden verfuhren die NS-Verwaltungen in Württemberg; auch hier wurden
Karteien angelegt, die eine Inhaftierung von einer Stunde auf die andere ermöglichten.228
Und so erschienen am 14. November auch bei Hans Heitier Polizeibeamte und nahmen ihn mit
auf das Polizeipräsidium. Von dort aus wurde er am nächsten Tag mit über 60 anderen Inhaftierten
in das Konzentrationslager Welzheim transportiert, während die übrigen Stuttgarter Juden
nach Dachau verschleppt wurden.229

Das Amtsgefängnis in Welzheim mit dem Amtsgerichtsgebäude war 1935 von der Gestapoleitstelle
Stuttgart übernommen und zum Konzentrationslager umgebaut worden. Es wurde unter
der Bezeichnung Polizeigefängnis geführt; der Begriff Konzentrationslager war - wie der
„Chef der Sicherheitspolizei und des SD" später erneut einschärfte - zur Abwehr von Hetz- und
Greuelpropaganda, in Wirklichkeit zur Verschleierung der tatsächlichen Gegebenheiten sorgfältig
zu vermeiden.230

Ein Augenzeuge hat den Empfang, den die Stuttgarter Juden und mit ihnen Hans Heitier in
Welzheim erlebten, später so geschildert: Und dann kamen sie. Jeder SS-Mann hatte sich einen
Gummiknüppel, eine Hundepeitsche oder sonst etwas zurecht gelegt. Das Ausladen ging
schnell. Ein paar SS-Leute sprangen auf den Wagen, wo Mann an Mann stand, und warfen alles
herunter: Menschen, Kleider, Pakete. Die Juden wurden erst ein paarmal über den Hof gejagt
: Marsch, Marsch! An die Wand!' Hüte und Mäntel lagen zerstreut umher. Die Hunde feierten
Orgien. ... Schließlich wurden die Angekommenen in die fertigen Räume gesperrt - je 12
Mann in einen Raum von sechzehn Quadratmetern, an den Wänden drei Holzgestelle mit jeweils
vier Schlafpritschen; diese im Abstand von nur 45 Zentimetern übereinander, so dass
kaum Luft zum Atmen blieb.231

Am 30. November wurde Hans Heitier aus der Haft entlassen, weil er im Weltkrieg als Frontkämpfer
gedient hatte - sein Eisernes Kreuz hatte er mit ins Lager genommen,232 da es besonders
eindrücklich die schäbige Behandlung unterstrich, die hier Bürgern zugefügt wurde, die
ihr Leben für ihr Vaterland eingesetzt hatten. Am Tag vor der Entlassung hatte die Gestapo
Stuttgart, einer Weisung Görings an die Sicherheitspolizei folgend, die Lagerleitung in Welzheim
davon unterrichtet, dass alle Frontkämpfer freizulassen seien. Solche Zeichen einer
scheinbar generösen Haltung sollten, ähnlich wie die Anordnung, gegen Plünderer von jüdi-

die Führung der ,Judenkartei' vgl. GLA. 357/33112, ferner Werner (wie Anm. 215), S. 161 sowie Sauer (wie
Anm. 211), Bd. I, S. 80. - Zu den vielfältigen Mitteln, die sich staatliche und kommunale Stellen zur lückenlosen
Überwachung der jüdischen Bürger einfallen ließen, vgl. die weiteren, von Sauer zusammengetragenen Dokumente
; ebd. S. 46ff.

228 Das württembergische Innenministerium erließ bereits am 22. November 1933 eine Weisung an alle Oberämter
, die im dortigen Oberamtsbezirk sich auflialtenden Juden ... mit Zu- und Vornamen, Geburtstag, -ort, Beruf,
Wohnort und Wohnung sowie ... Staatsangehörigkeit, wann Zuzug nach Deutschland und ob getauft anzugeben.
Sauer (wie Anm. 211), S. 52.

229 Wie Anm. 226. - Zu Hans Heitiers Inhaftierung finden sich kurze Angaben in seiner Wiedergutmachungsakte.
StAL, EL 350 Büschel ES 12938.

230 Gerd Keller/Graham Wilson: Das Konzentrationslager Welzheim. o.O. [1989], S. 8f. Vgl. Julius Schätzle:
Stationen zur Hölle. Konzentrationslager in Baden und Württemberg 1933-1945. Frankfurt/M. 21980, S. 54ff. -
Zur Gestapoleitstelle Stuttgart vgl. Jürgen Schuhladen-Krämer: Die Exekutoren des Terrors. Hermann Mattheiß
. Walther Stahlecker, Friedrich Mußgay, Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle Stuttgart. In: Die Führer
der Provinz (wie Anm. 219), S. 405-443. Wegen weitgehend fehlender Unterlagen zur Person behandelt der
Beitrag leider nicht die Biographie des SS-Sturmbannführers und Oberregierungsrats Dr. Joachim Boes, der die
Staatspolizeileitstelle Stuttgart von 1937 bis 1941 leitete und der für die Vorgänge um die Pogromnacht mit den
nachfolgenden Verhaftungen verantwortlich war (ebd., S. 442).

231 Da das Gefängnis bereits belegt war, wurden die inhaftierten Juden, die zum Teil misshandelt worden waren, in
der „Kommandantur", dem ehemaligen Amtsgerichtsgebäude, untergebracht, das vorher entsprechend gesichert
worden war. Keller (wie Anm. 230), S. 21 und 92. Der Augenzeuge, der die Einlieferung der Stuttgarter Juden
beobachtete, war selbst mehrere Jahre in Welzheim inhaftiert: Friedrich Schlotterbeck: Je dunkler die Nacht.
Ein Bericht. Halle/Saale 1969, S. 34ff.

2,2 Mitteilung Prof. Rasche (wie Anm. 177).

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