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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
127.2008
Seite: 156
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losigkeit und weite Auslegung des Begriffs „sowjetische Staatsbürger": Anders als die Franzosen
, die von den Grenzen der Sowjetunion 1939 ausgingen, beanspruchten die Sowjets nämlich
alle Displaced Persons, die auch aus den von ihnen nach 1939 okkupierten Gebieten
stammten. Allein aus dem Centre de Rapatriement in Freiburg waren bis Juni 1945 in 28 Schüben
schon 1.775 Russen und Ukrainer nach Osten in Marsch gesetzt worden. Weitere 233
folgten im September.27

Die Gründe für das Bestehen der Sowjetunion auf kompletter Repatriierung sind vielschichtig
: Zum einen spielte die Rückgewinnung des im Kriege verlorenen Arbeitskräftepotentials
und die Bewahrung der sowjetischen DPs vor zu langem verderblichem Kontakt mit der nichtkommunistischen
Außenwelt eine Rolle. Daneben waren aber auch die Vermeidung eines
Gesichtsverlusts der UdSSR auf internationaler Ebene durch Repatriierungsverweigerungen
und die Verhinderung der Sammlung antikommunistischer Ex-Sowjetbürger im Ausland wichtig
. Nicht zuletzt wollte man mit den repatriierten DPs auch Kollaborateure mit den Deutschen
in die Hand bekommen, um sie exemplarisch bestrafen zu können. Grundsätzlich standen alle
Kriegsgefangenen und deportierten Zivilarbeiter im Verdacht der Kollaboration. Deshalb
wurden alle Repatriierten durch Filtrierlager geschleust, in denen sie teilweise wochen- und
monatelang politisch unter die Lupe genommen wurden. „Screening" hieß das in der Sprache
der alliierten Militärverwaltungen.

Je nach Ergebnis erwartete viele danach nicht die Rückkehr nach Hause, sondern die Einziehung
zum Militär oder erneute Zwangsarbeit im Rahmen der Aktion „Mobilisation in
Arbeiterbataillonen zum Wiederaufbau der Sowjetunion". Michail Marushenko etwa, der im
Kappler Bergwerk der Stoiberger Zink Zwangsarbeit geleistet hatte, berichtete: In Görlitz gab
es eine Personenkontrolle. Manche durften nach Hause fahren, manche nach Sibirien und manche
mussten wie ich die Volkswirtschaft aufbauen. Im Oktober 1945 wurden wir Repatrianten
in die Stadt Nishnij Tagil am Ural gebracht. Ich habe bis März 1948 in der metallurgischen
Fabrik im Walzwerk gearbeitet. Dort habe ich einen sowjetischen Pass bekommen. Mit diesem
durfte ich aber nicht in den großen Städten leben. So war das bis 1953, bis zu Stalins Tod. Wie
sie sehen, hat mich mein Vaterland nicht verwöhnt.2* Auch Marushenkos Kappler Arbeitskollegen
Plushnik ging es nicht viel besser. Er erzählte: Wir wurden von der sowjetischen Staatssicherheit
kontrolliert. Dann mussten wir in den Armeedienst gehen. Ich war in Deutschland
in Leipzig und Borno. Erst im Jahre 1950 bin ich nach Hause zurückgekehrt.29

Der nach Auffassung der Westalliierten viel zu langsame Abbau der großen Zahl von
Displaced Persons wurde vor allem der U.N.R.R.A. angelastet. Ihr wurde vorgeworfen, sie
kümmere sich zu wenig um die Durchsetzung einer raschen Repatriierung und mindere im
Gegenteil sogar den Anreiz zur zügigen Rückkehr in die Herkunftsländer, indem sie sich zu
sehr für eine gute Versorgung der Displaced Persons vor Ort einsetze. Die U.N.R.R.A. wurde
aufgelöst und 1947 durch die I.R.O. (International Refugee Organization) ersetzt. Von dieser
wurde das vorrangige Ziel der Repatriierung aufgegeben und stattdessen ein Schwerpunkt in
der Neuansiedlung der verbliebenen DPs hauptsächlich in überseeischen Ländern (USA,
Kanada, Australien) gesetzt.

In Freiburg wurde das DP-Problem am 9. April 1951 von den Franzosen für gelöst erklärt.
Den deutschen Behörden in der Stadt wurden die letzten 7 Displaced Persons übergeben. Sie
befanden sich alle in Kliniken oder Nervenheilanstalten.30

27 Archives de l'Occupation Francaise en Allemagne et en Autriche, Colmar (AOFAA), Delegation Provinciale pour
le Bade, Affaires Politiques, Section des P.D.R., No. 921 und 923.

28 StadtAF, M2/429 Nr. 5; Spitzmüller (wie Anm. 3), S. 160f.

29 StadtAF, M2/429 Nr. 5; Spitzmüller (wie Anm. 3), S. 161.

30 AOFAA (wie Anm. 27), Delegation Provinciale pour le Bade. Affaires Politiques, Section des P.D.R., No. 1323/5.

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