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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2009/0178
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die Doppeltür zum Vorzimmer, wo die brave, ahnungslose (oder nichts ahnen wollende)
Sekretärin saß, geschlossen, kam das Innere des Besuchers zum Vorschein. Es war wie eine Art
geistigen Erbrechens. Zuerst ein Blick nach dem Telefon und nach dem hermetisch geschlossenen
Fenster - dann ging es los. Zurückhaltend in den ersten Sätzen, dann wie ein Sturzbach
hervorquellend, ein Gemisch aus Empörung, Ekel und Scham, das Sichauflehnen gegen Gewalt
und Unrecht, gegen Doppelzüngigkeit und offene Schamlosigkeit, die da draußen, jenseits der
Doppeltüren herrschten. Der Dauerbewohner besagten Büros, dessen gewohnt und bis zum
Ende der Prozedur weiter an der Zigarre rauchend, musste warten, bis der Anfall vorüber war.
Dann konnte man darüber reden, wie man , Denen' auf ungefährliche oder doch nicht allzu riskante
Weise ein Schnippchen schlagen konnte.34

Zum Kreis derer, die hinter den gepolsterten Türen des Anwaltszimmers Vertrauliches besprachen
, gehörte die Freiburger Caritasmitarbeiterin Dr. Gertrud Luckner (Abb. 2). Die gebürtige
Britin mit enger Verbindung zur Religionsgemeinschaft der Quäker war, so das bewusst
unpräzise gehaltene erzbischöfliche Beglaubigungsschreiben, mit der Durchführung notwendiger
Aufgaben der außerordentlichen Seelsorge betraut, faktisch mit der Betreuung und Auswanderungsberatung
katholisch getaufter Juden. Ihre Unterstützung galt den aus „rassischen
Gründen" Verfolgten freilich unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit. Sie verfügte
über vielfältige internationale Kontakte, die sie den zunächst auf legalem, mit der Schließung
der Schweizer Grenze 1938 zunehmend auch auf illegalem Weg Emigrierenden nutzbar
machte: Meine Juden kamen nach Basel... Meine Freunde haben sie dort aufgenommen, ihnen
Geld gegeben und weitergeholfen.35 Von Luckners Tätigkeit als illegaler Fluchthelferin zeugt
die im Nachlass befindliche eigenhändige Skizze des Grenzverlaufs bei Gottmadingen und Singen
.

Für ihre Hilfsaktionen benötigte Gertrud Luckner zuverlässige Unterstützung. Karl Siegfried
Bader fungierte hier im weitesten Sinne als juristischer Ratgeber. Die Luckner hat mich als Anwalt
entdeckt und ich bin ja auch für sie gereist, erklärte er lakonisch in einem kurz vor seinem
Tod gegebenen Interview.36 Diese Tätigkeitsbeschreibung lässt sich ein wenig konkretisieren.
Letztmals im November 1940 fuhr Bader - offiziell in vorgeblich kriegswichtiger Mission - in
die Schweiz, um jene Gesinnungsfreunde Gertrud Luckners direkt zu kontaktieren, mit denen
sie aufgrund kriegsbedingter Zensur nicht mehr korrespondieren konnte. Dass es bei dieser
Konspiration um Hilfspläne für verfolgte Juden ging, ist allein des Zeitpunkts wegen mehr als
wahrscheinlich: Wochen nur nach der berüchtigten Oktoberdeportation fast sämtlicher badischer
Juden und in dem Wissen um die baldige Einberufung zur Wehrmacht nahm Bader diese
letzte Gelegenheit zur Reaktivierung und Konkretisierung von Verbindungen wahr. Ob er darüber
hinausgehende Aktivitäten besprach oder gar vereinbarte, bleibt letztlich Spekulation.

Anwaltstätigkeit als Widerständigkeit aus dem professionellen Milieu?

Baders kaum mehr durch ein Mandat gedeckte Reisetätigkeit zugunsten Gefährdeter und
Bedrohter lässt sich als Beispiel couragierten Handelns werten. Seine im Rechtsstaat selbstverständliche
, in der Diktatur jedoch inopportun gewordene Verpflichtung auf berufsethische
Prinzipien, die gewissenhafte Vertretung im Interesse des Mandanten gegen vorgebliches
„Volksinteresse" ist zweifellos als aufrecht und mutig zu erachten sowie dem Willen zur Selbstbehauptung
, ja einer partiellen Nonkonformität zuzuschreiben. Doch lässt sich dieses Handeln,
lässt sich die Hilfe für Verfolgte als „Widerstand" bezeichnen? Der Selbstwahrnehmung, aber

34 Bader (wie Anm. 15), S. 30.

35 „Betrifft Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg". Die Ermittlungsakten der Geheimen Staatspolizei
gegen Gertrud Luckner 1942-1944, bearb. von Hans-Josef Wollasch, Konstanz 1999, S. 26.

36 Vgl. Kibener (wie Anm. 9).

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