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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2009/0202
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Reform von 1427/1428 und die innere Organisation des Klosters, um schließlich ausführlich zum personellen
und sozialen Hintergrund des Klosters und seiner Insassen zu kommen. Im Anhang leistet er eine
ausführliche und sorgfältige prosopografische Erfassung aller Äbte und Konventualen.

Im Folgenden entwirft er das komplexe politische und institutionelle Beziehungsgeflecht der Abtei. Das
Kloster wird hier überzeugend als Teil des umgebenden politischen Raumes vorgeführt, dessen Interessen
auf die Abtei einwirkten und den HandlungsSpielraum der Reichenauer Klosterinsassen bestimmten,
wobei das Kloster immer weniger eine aktive Stellung einnehmen konnte. Dieser Raum wurde für die
Reichenau bestimmt durch den starken Einfluss des Bistums Konstanz, durch die Reichsferne nach der
Stauferzeit, in der die Habsburger ihre Schirmherrschaft durchzusetzen suchten, sowie durch die Nähe der
aufsteigenden und dynamischen Stadt Konstanz. Demografische Veränderungen im hohen Adel hatten zur
Folge, dass das Kloster gezwungen war, seinen Status als Hochadelskloster aufzugeben und sich auch für
Niederadlige zu öffnen. Doch auch diese Maßnahme konnte keine neue spezifische Gemeinsamkeit schaffen
. Das Klosterleben wurde lediglich „von den Klammern der angestrebten sozialen Exklusivität"
(S. 159) zusammengehalten und spielte für die Familien der Mönche nur noch eine geringe Rolle, wie die
fehlenden Stiftungen zeigen. Die Mönchszahl sank unaufhaltsam auf sechs bis sieben Mönche, bis am
Ende des 15. Jahrhunderts nur noch zwei Konventualen übrig blieben.

Die Geschichte der Reichenau im Spätmittelalter wurde durch andauernde wirtschaftliche und finanzielle
Probleme bestimmt. Um überhaupt noch Geld zu bekommen, war man zu dauernden Kreditaufnahmen
und Verpfändungen gezwungen. Da man, um die Kreditzinsen zu bezahlen, zu neuer Verschuldung
griff, entstand ein ständig wachsender Schuldenberg, sodass das Kloster mehrfach vor dem Bankrott
stand. 1343 hatte das Kloster Reichenau auch beim Freiburger Bürger und bekannten Finanzier
Johannes Malterer ein hohes Darlehen über 700 Mark Silber zu einem Zinssatz von 10 % aufgenommen,
für das insgesamt 167 Adlige, Stadtbürger und Gemeinden bürgen mussten und dessen Rückzahlung sich
jahrzehntelang hinzog.

In seiner Darstellung geht der Autor immer wieder auf die wirtschaftlichen Probleme des Klosters ein,
da diese für das Fortbestehen von grundlegender Bedeutung waren. Er hebt hervor, dass eine wirtschaftliche
Erholung nicht möglich gewesen sei, da der weit verstreute Grundbesitz ohne grundlegende
Restrukturierung keine Gewinne mehr erwirtschaften konnte. Doch diese Aspekte sind in die einzelnen
Kapitel integriert und der Leser vermisst doch eine zusammenhängende Abhandlung dieses zentralen Gedankens
. So bleiben beim Leser doch noch Fragen: Lässt sich bei den Reformversuchen kein quantifizierbares
Ergebnis beobachten? Lässt sich die wirtschaftliche Lage nicht anhand der Einkunftsregister, die
unter reformwilligen Äbten eingeführt worden sind, quantifizieren und damit genauer beurteilen? Gab es
keine Ansätze, den umfangreichen Grundbesitz zu einer rentablen Grundherrschaft umzubauen? Sind vor
diesem Hintergrund der Verkauf des Ulmer Besitzes 1446 und den Erwerb der Herrschaft Blumenegg
wirklich eine Fehlinvestition gewesen? Hier hätte man durch den Einsatz von Zahlenmaterial zu deutlich
aussagekräftigeren Ergebnissen kommen können. Ebenso wäre zu prüfen, ob die fortdauernden Kreditaufnahmen
nicht wenigstens der Versuch waren, die hohe Schuldenlast des 14. Jahrhunderts mit ihren hohen
Zinssätzen durch Kredite mit nunmehr deutlich niedrigeren Zinssätzen umzuschulden. Hier besteht
noch ein Anreiz für weiterführende Forschungen.

Zum Abschluss stellt der Autor die Frage, ob der Bedeutungsverlust der Abtei durch einen Bedeutungsgewinn
in anderen Bereichen ausgeglichen worden sei. Dabei kommt er zu einem vorsichtigen,
differenzierten Urteil. So lässt sich durch den Reliquienkult des heiligen Markus und die Wiederentdeckung
der berühmten Bibliothek, deren Bestände durch spätmittelalterliche Werke sogar noch ausgebaut
wurden, durchaus ein Bedeutungsgewinn verzeichnen, jedoch die bescheidenen Versuche, ein
lokales Reform-, Frömmigkeits-, und Bildungszentrum zu verwirklichen, zeigten keine große Wirkung.
Alle diese hoffnungsvollen Ansätze blieben aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen und personellen
Basis ohne Chancen.

Thomas Kreutzer hat mit diesem Buch eine fundierte und äußerst sorgfältig gearbeitete Gesamtdarstellung
zur spätmittelalterlichen Geschichte der Reichenau vorgelegt, die der Rezensent immer wieder
fasziniert gelesen hat und die er für ein sehr gelungenes Buch hält. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis
sowie die zahlreichen Abbildungen, Diagramme und Tabellen belegen die gründliche und
sorgfältige Arbeitsweise des Autors. Ebenso dankbar ist der Leser für das umfangreiche Register der Personen
- und Ortsnamen sowie der Institutionen. Willy Schulze

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