Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V., Frei122-Z4
Zentralblatt für Okkultismus: Monatsschrift zur Erforschung der gesamten Geheimwissenschaften
1.1907/8
Seite: 332
(PDF, 135 MB)
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auf der bleichen Stirne, klebte ihm ein Pflaster auf und umhüllte den
Kopf mit einer Binde.

Nun erst konnte er dem Knaben so recht ins Angesicht sehen und
tiefe Wehmut erfaßte ihn, als er bemerkte, daß das Kind weinte. Unaufhörlich
drangen ihm die Tränen aus den Augen, die Lippen aber
waren fest geschlossen und kein Seufzer, kein Schluchzen entfuhr seinem
Mund.

„Armer Bube, du hast Schmerzen, nicht wahr?" frug der Magister,
aber der Knabe schüttelte den Kopf. „Weshalb aber weinst du? Komm,
klage mir dein Leid!" Und einem innern mächtigen Drang gehorchend
zog er ihn an sich und suchte ihn kosend zu beruhigen. Der Knabe
aber lehnte den Kopf an des Magisters Brust, als ob er wüßte, daß er
dort nunmehr seine einzige Hilfe zu erwarten hätte, und nun kam der
verhaltene Schmerz jählings zum Durchbruch.

Der zarte Körper erbebte unter konvulsivischen Zuckungen und
mit einem Schrei, der sich tief in das Herz des Magisters bohrte, rang
es sich von seiner Seele: — Meine Mutter ist tot — meine arme gute
Mutter — der wilde Mann hat sie erschlagen! - "

In dem Ton dieser Stimme lag soviel Schmerz, so viel Verzweiflung,
daß auch die beiden andern Männer, die entschieden rauherer Art als
der Magister waren, tief ergriffen wurden. Nichts ist erschütternder, nichih
so sehr zum Mitleid zwingend, als wenn der Klang einer jugendlichen, für
die Töne der Freude, für das silberhelle Lachen des Glückes geschaffenen
Stimme im höchsten Seelenschmerze klagen muss und zum Verkünder
eines tragischen unbarmherzigen Geschickes gepreßt wird.
Ein vom Sturm gefällter Baum kann uns nachdenklich machen, eine vom
rauhen Frost verbrannte junge Maienblüte stimmt uns traurig — bittere
Gedanken über die scheinbare Grausamkeit und blinde Willkür, die da
so achtlos auf das blühende Leben treten, beschleichen uns und lassen
uns auf Augenblicke vergessen, daß die ewige Gerechtigkeit auch eine
ewige Wahrheit ist.

Geduldig hatte der Magister alles aufgeboten, den Knaben zu beruhigen
. Und als der Ausbruch des ersten wilden Schmerzes vorüber
war, veranlaßte er ihn, sein trauriges Erlebnis zu erzählen.

Unter Tränen berichtete nun der arme Junge, daß das Dorf von
den Reisigen des Hartenbergers plötzlich überfallen worden sei. Diese
verlangten, daß die Dorfbewohner ihren Herrn, den Ritter Kuno, der der
Haft des Grafen entflohen sein soll, herausgeben sollten. Und als die
zitternden Landleute beteuerten, daß sie von ihrem Herrn nichts wüßten,
ließ man ihnen eine Stunde Bedenkzeit. Doch als die Stunde verstrichen
war und die Dorfbewohner sich nur abermals auf ihre Unschuld berufen
konnten, fielen die rohen Kriegsknechte auf einen Wink ihres Anführers
über die Wehrlosen her, ermordeten sie, drangen in die Hütten ein, erschlugen
die Weiber und Kinder und steckten das Dorf an allen vier


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