http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zgb1907/0221
Zu Otto Böckels
„Psychologie der Volksdichtung"1.
Von Bernhard Kahle.
Das Folgende will keine Kritik von Böckels schönem Buche
sein. Es sind einige Bemerkungen und Anmerkungen, die mir
beim Lesen eingefallen sind, und sie sollen Zeugnis ablegen
von dem Interesse, welches das Werk bei mir erweckt hat,
von dem Grenuss, den ich dabei gehabt habe. Gleichwol mögen
einige allgemeine Betrachtungen voranstehen. Nachdem der
Verfasser im Jahre 1885 sein Buch „Deutsche Volkslieder aus
Oberhessen" veröffentlicht hatte, das besonders um seiner Einleitung
willen von hohem Wert ist, war er verstummt. Aber
dass er seiner alten Liebe zum deutschen Volkslied nicht untreu
geworden ist, zeigt dieses Buch. Er bezeichnet es selbst als
ein Lebenswerk, das Heimweh zum deutschen Volkslied hat
ihn dazu getrieben, seine alten Studien wieder aufzunehmen.
Jeder Freund deutscher Wissenschaft, deutschen Volkstums
kann ihm nur aufrichtig dafür danken. Denn wenn er auch
in bewundernswerter Weise in die Volksdichtung der europäischen
Völker eingedrungen ist, und darüber hinaus die Dichtung
anderer Völker zum Vergleich heranzieht, so hängt sein
Herz doch am deutschen Volkslied, am deutschen Volkstum.
Und so ist denn auch sein Buch durchdrungen von einem
warmen Herzenston. Sein Herz fühlt mit dem, was das Volk
in seinen Liedern singt. Feinsinnig spürt er den Regungen
der Volksseele — wenn es noch erlaubt ist, diesen Ausdruck
zu brauchen — nach. Er empfindet Leid und Freud des Volks
mit, lebt mit in der Natur, wie sie das Volkslied schildert.
Das alles macht sein Buch nicht nur dem Forscher zu einer
B. Gr. Teubner, Leipzig 1906.
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