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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1966/0270
Vereinsmitteilungen

Staatsarchivrat Dr. Paul Sauer, Stuttgart:

Die Verfolgung unserer jüdischen Mitbürger in Württemberg und
Hohenzollern 1933-45

öffentlicher Vortrag im Anschluß an die Mitgliederversammlung am 10. 10. 1966
Gaststätte „Museum" in Hechingen

Ein erschüttertes Erwachen mag es für viele der jüngeren Zuhörer gegeben haben, die
nach Abschluß der Regularien zur Mitgliederversammlung des Hohenzollerischen Geschichtsvereins
im Hechinger „Museum" hinzugekommen waren: was sie vielleicht als Begriff aus
einer düsteren Epoche deutscher Geschichte gehört und allenfalls registriert hatten, erweckte
der Referent, Staatsarchivrat Dr. Paul Sauer, Stuttgart, zu plastischem, tief unter die Haut
gehendem Leben. Jüdisches Schicksal wurde nachgezeichnet als Weg des Blutes und der
Tränen in den Abgrund. Und Dr. Sauer machte deutlich, daß die Hybris der Verstrickung,
die Schuld jener Jahre zwar am fürchterlichsten, doch nicht allein darin manifestiert ist, was
in den Konzentrationslagern geschah und nun in KZ-Prozessen auch der jüngeren Generation
noch einmal vor Augen geführt wird.

Das Referat des Stuttgarter Archivrats dauerte sehr lange; zu lange, um es bis zum
Ende konzentriert und mit allen Details aufzunehmen. Langweilig wurde es dennoch nie,
obwohl Dr. Sauer betont sachlich und, wegen vorangegangener Erkrankung des Stimmapparats
, verhältnismäßig leise, unmoduliert sprach. Materie und wohltuend zugleich engagierte
und abwägende Form seines Vortrags packten, ließen auch mit wachsender Dauer
nicht los.

Die Länge geht wesentlich zu Lasten des positiven Faktums, daß sich der Referent nicht
damit begnügte, „Die Verfolgung unserer jüdischen Mitbürger in Württemberg und Hohenzollern
1933-45" anhand seiner unwiderlegbaren Unterlagen zu schildern. Der Leiter der
Dokumentation über einheimische Judenschicksale, der jahrelang Material in vielen deutschen
Archiven, in Israel und den USA gesammelt hat, stellte vielmehr das, was während
des „Dritten Reichs" geschah, in den großen historischen Zusammenhang.

Dr. Paul Sauer ging aus von den - zum Beispiel in Haigerloch schon 1348 belegten -
mittelalterlichen Judenverfolgungen aus religiösen Motiven, als die Kirche den Haß gegen
die „Kreuziger Christi" eher schürte als dämmte. Er erwähnte, wie später wirtschaftlicher
Konkurrenzneid gegen die oft abenteuerlichen, ebenso häufig genialen, rasch emporgekommenen
Geldgeber dazu geführt hat, daß Juden ausgewiesen oder unterdrückt wurden. Erst
die Aufklärung habe einer Gleichberechtigung den Weg bereitet, obwohl die Verwirklichung
lange habe auf sich warten lassen, betonte der Referent. Er erläuterte, daß die Juden in
Württemberg 1828 erste staatsbürgerliche Rechte erhalten hätten, weitere Schranken 1848/49
und die letzten erst 1860 gefallen seien. Im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen sei die
Gleichstellung 1837 eingeleitet worden, im benachbarten Hohenzollern-Hechingen hätten die
Juden bis zum Übergang an Preußen 1850 auf Gleichberechtigung warten müssen.

Weder religiöse Motive noch wirtschaftliche Überlegungen haben nach Ansicht des
Archivrats bei dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommenen rassischen
Antisemitismus, der dann im Nationalsozialismus seine schreckliche Erfüllung fand, eine
Rolle gespielt. Dr. Paul Sauer sieht die Wurzeln der nach seiner Meinung neuen Zeitströmung,
die von völlig unwissenschaftlichen Voraussetzungen ausgegangen sei, vielmehr in pseudoromantischem
Denken über die „Rassenwertigkeit": eine durch die knappe Zeit bedingte
Vereinfachung, gegen die Bedenken anzumelden sind; denn zweifellos haben im Antisemitismus
des ausgehenden 19. Jahrhunderts und erst recht in dem des Nationalsozialismus
mythologisch-religiöse wie auch wirtschaftliche Motive mit eine Rolle gespielt. Was jene
Ideologie, die „nach dem ersten Weltkrieg das Odium der Lächerlichkeit verlor", von einem
tatendurstigen Rechtsradikalismus mit Schimpf erniedrigt, mit fanatisiertem Haß überzogen,
schließlich mit Füßen getreten und grausamstem, im Wortsinn billigstem Tod preisgegeben

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