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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1967/0012
Bader

Wissenschaft von der Geschichte! Nicht älter natürlich als Geschichtskunde und geschichtliches
Bemühen überhaupt. Die Geschichtswissenschaft, im begrifflich strengen
Sinne verstanden, ist ein verhältnismäßig junger Zweig der Geisteswissenschaften
- weit jünger etwa als die Theologie oder als die Jurisprudenz, von der her Ihr
heutiger Redner kommt und von der er zur Geschichtswissenschaft gestoßen ist. Die
kritische Geschichtswissenschaft ist knapp anderthalb Jahrhunderte alt. Was vorher
am geschichtlichen Stoff und mit dem geschichtlichen Stoff geschah, war nicht, noch
nicht Wissenschaft, zu der eben, bereits angedeutet, das unentbehrliche Element der
kritischen Betrachtung, der kritischen Sichtung und Unterscheidung, gehört. „Geschichte
" in einem weiteren Verstand haben schon unsere ältesten Chronisten, noch
ganz im mittelalterlichen Gewände des schlichten Berichts, getrieben; Geschichte im
schon geläuterten Sinne dann die Humanisten, die den Geschichtsablauf aber noch
immer als Exempel betrachten; Geschichte in weiter verfeinerter Form die Rationalisten
des endenden 17. und des ganzen 18. Jahrhunderts, deren Rationalismus
und Pragmatismus uns Heutigen schwer genießbar vorkommt. Ihr Ergebnis und
Erbe ist jene sogenannte pragmatische Geschichtschreibung, die den geschichtlichen
Vorgang unter dem Gesichtspunkt praktischer Nützlichkeit betrachtet. Ein starker
Rest dessen ist im 19. Jahrhundert und bis zum heutigen Tage verblieben, wenn wir,
uns selbst häufig nicht recht bewußt, die Frage steilen: „Was lehrt uns die Geschichte
?" Wir verlangen also von der Geschichte Rezepte, um zu erfahren, was
heute und morgen geschehen soll - und doch wissen wir von den Katastrophen des
20. Jahrhunderts Gezeichneten nur zu gut, daß k^ine geschichtliche Erfahrung vor
Rückfällen schützt und daß wir stets - und heute mehr denn je - in Gefahr stehen,
dieser oder jener Barbarei zu verfallen: zu zeigen also, daß wir immer wieder vergessen
und nichts oder doch wenig genug hinzugelernt haben.

Die Stufe eigentlicher und echter Geschichtswissenschaft ist erst erreicht, wenn
wir uns von diesem handfesten Pragmatismus in der Erkenntnis des Geschichtlichen
befreien. Im strengen methodischen Sinne ist dies erst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
gelungen, offensichtlich unter dem beginnenden stärkeren Einfluß der
Naturwissenschaften. Dieses Stadium pflegt man - in Gegenüberstellung zur einfachen
chronikalischen und zur immerhin höheren pragmatischen - als genetische
Geschichtsbetrachtung zu bezeichnen. Wenn Worte dazu da sind, Gedanken zu verdeutlichen
, so ist dies dem Wort „genetisch" allerdings schlecht gelungen; denn darunter
kann sich kein gewöhnlicher Sterblicher, nicht einmal ein sterblicher Historiker
, etwas Rechtes vorstellen. Gemeint ist mit „genetischer" Geschichtsbetrachtung
aber nichts anderes als eine nach Möglichkeit voraussetzungslose, kritisch-wissenschaftliche
Wertung der geschichtlichen Vorgänge um ihrer selbst, nicht um eines
billigen, etwa eines wirtschaftlichen oder nationalistischen Zweckes willen. Eine andere
Frage, ob wir eine solche Wertung erreichen; als Ziel echter Geschichtswissenschaft
bleibt sie bestehen

Fürchten Sie nun nic'.t, daß sich der von Ihnen erbetene Festvortrag für den
Rest seiner Dauer in so dünnen Luftschichten eines Höhenfluges weiterbewegt! Wir
kommen zu leichter verständlichen, zu greifbaren Dingen. Die landesgeschichtlichen
Vereine sind, so behaupteten wir, älter als die Geschichtswissenschaft, so wie
sie sich heute versteht und verstanden wissen will. Sie, diese unsere Vereine, sind,
nimmt man zunächst alles in einem, Kinder der Aufklärungsepoche, deren Blütezeit
man um etwa 1780 ansetzen mag. Vor dieser Zeit hat es Vereinigungen dieser Art
oder solche, die sich damit vergleichen lassen, nicht gegeben. Im Kern aufklärerischen

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