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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1968/0146
Kaufhold

Physiologien entlehnt sind, die, an dem vorliegenden Gefäß zur Anschauung gebracht
, einer moralischen Nutzanwendung keinesfalls entbehren 2. Hinsichtlich der
Composition und der technischen Durchbildung der Apostelstatuen sei hier nur in
Kürze bemerkt, daß dieselben noch an jene plastische Unvollkommenheit und stylistischen
Derbheit der anatomischen Formen erinnert, wie sie dem Metallguß, der
im X. Jahrhundert noch mit vielen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte,
als charakteristisches Merkmal eigenthümlich ist. Es will uns scheinen, als ob in diesen
kurz gedrungenen Gestalten und dem gehäuften Faltenwurf der Gewänder sich
eine deutsche Kunstübung geltend machen wolle, die weder die Beimischung der
plastischen Bildungen des mittlem Italiens noch den byzantinisirenden Einfluß erkennen
lassen, wie er sich als Folge der Kreuzzüge gegen Schluß des XII. Jahrhunderts
in den lang gezogenen Körperbildungen deutlich wahrnehmen läßt.

Vergleicht man die fast typische Darstellung dieser Figuren näher mit den ähnlichen
Bildungen in gleichzeitigen Miniaturwerken, betrachtet man ferner aufmerksamen
Blickes die charakteristische Ausbildung der Majuskeln, desgleichen die eigenthüm-
liche, ornamentale Durchbildung der Capitäle und Sockel der einzelnen trennenden
Säulchen, so möchte man, einem fast zwingenden Stilgefühl nachgebend, zur Annahme
sich hinneigen, daß das vorliegende Gefäß von den „opifices" der Abtei
Reichenau zur Zeit der Ottonen, etwa in der letzten Hälfte des X. Jahrhunderts,
seine Entstehung gefunden habe. Es würde zu weit führen, wenn wir hier in langer
Reihe aufzählen wollen jene heut noch vorfindlichen „vasa lustralia", die in der
romanischen Kunstepoche sehr häufig in Elfenbein angefertigt zu werden pflegten.
Dahin gehört unter andern das prachtvolle „benitier", nachweislich in Elfenbein
sculptirt von den Schülern des großen Bernard von Hildesheim, ferner das bekannte
Weihbecken aus dem Schatze zu Mailand, desgleichen das reich sculptirte gleichartige
Gefäß im Domschatz zu Aachen aus den Tagen Kaiser Heinrichs II.

Weihbecken, wie das vorliegende in Metall gegossen, gehören, aus der Frühzeit
der romanischen Kunstepoche herrührend, wohl deswegen heute zu großer Seltenheit
, weil der Metallguß an und für sich schon größere Schwierigkeiten bot und man
es deswegen vorzog, auch der geringem Schwere wegen ähnliche Gefäße in einem
weichern Materiale auszuführen, das der künstlerischen Ausbildung weniger Schwierigkeiten
in den Weg stellte. Ein besonders reiches Gefäß, jedoch offenbar aus der
letzten Hälfte des XII. Jahrhunderts herstammend, rühmt sich heute als vortreffliches
Gußwerk der Domschatz von Speier noch zu besitzen. Auch an diesem Gefäße
entfalten sich Hautreliefs, die theilweise der animalischen, theilweise der vegetabilischen
Schöpfung entlehnt sind. Ein anderes sehr merkwürdiges „vasculum"
besitzt heute, ebenfalls als Guß werk mit Figurationen, der Domschatz zu Mainz;
desgleichen hat auch die Pfarrkirche St. Stephan ebendaselbst ein polygones gegossenes
Weihbecken mit eingravirten Pflanzenornamenten aus der romanischen Stilepoche
aufzuweisen. Zahlreiche Angaben in ältern Schatzverzeichnissen mögen zum
Beweise dienen, daß die größern Schatzkammern von Kathedral- und Stiftskirchen
noch bis vor der französischen Revolution eine große Zahl ähnlicher „benitiers" als
Meisterwerke des Kunstgußes aufzuweisen hatte, die leider als gute Beute im Anfange
dieses Jahrhunderts im Strudel der Revolution unerrettbar verschwunden
sind.

2 Vgl. die neuerdings herausgegebene Physiologie von Dr. Gustav Heider und eine andere von Prof.
Karagan. Beide erschienen in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien.

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