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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1968/0192
Neues Schrifttum

Christian Thomasius: Ober die Hexenprozesse.

Oberarbeitet und herausgegeben von Rolf Lieberwirth.
Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1967, 232 S. Brosch.
(Thomasiana Heft 5)

Der Kern des germanisch-deutschen Hexenbegriffs, wie ihn uns Märdien und Mythologie
überliefern und Volksaberglaube erhalten, ist der Schadenszauber. Das Verhältnis des
Menschen zur Natur verbindet sich hier mit religiösen Vorstellungen. Unter dem Einfluß
des Christentums wurde der Hexen- und Geisterglaube zunächst als heidnisches Machwerk
disqualifiziert und mit Kirchenstrafen bedroht. Jedoch setzte sich in der Kirche allmählich
die andere Auffassung von der Wirklichkeit der Dämonenwelt durch. Das Verhängnisvolle
dieser Lehre ist die Verbindung des nunmehr neu belebten Hexen- und Zauberwesens mit
der Ketzerei, der Häresie. Das Teufelsbündnis, meist in Form sexueller Hingabe an den
Bösen mit der Leugnung Gottes, war Abfall vom Glauben. Dieses theologisch verstandene
„Hexenwesen", lateinisch „maleficium", wurde als Sektierertum aufgefaßt und mußte nach
dem Vorbild der Katharer- und Waldenserbewegungen ausgerottet werden. In Deutschland
wurde der theologische Hexenbegriff endgültig durch die Bulle Papst Innozenz' VIII. im
Jahre 1484 eingeführt und durch den Hexenhammer der Dominikaner Sprenger und In-
stitoris 1487 bis zur Aussichtslosigkeit kommentiert. Mit dem Verwischen der Grenzen zwischen
dem von der weltlichen Gerichtsbarkeit abzuwendenden Schadenszauber und der dem
geistig-kirchlichen Bereich angehörenden Gottesverleugnung wurde die Hexerei ein juristisches
Problem, das die Gelehrten in der Folge beschäftigen mußte.

Der Hexenprozeß ist beliebter Gegenstand ortsgeschichtlicher Forschung, der auch das
Verdienst zukommt, zahlreiche Quellen bekanntgemacht zu haben. Leider wurden gerade
die rechtlichen Probleme oft verkannt. Ältere Abhandlungen beschränken sich im Vollgefühl
aufgeklärter Überlegenheit überhaupt meist nur auf pauschale Verurteilungen. Unsere Zeit,
die Verfolgungen wieder unmittelbarer vor Augen hat, ist vorsichtiger und sachlicher geworden
. Der Hexenprozeß ist nicht mehr Gegenstand allein rechtsgeschichtlicher Betrachtung
: Psychologie, Soziologie, Volkskunde und Medizingeschichte vermögen das Phänomen
selbst vielleicht besser zu erklären. Den Irrweg des Rechts und die Befangenheit der Gelehrten
im System zu erkennen, bedarf es jedoch zuverlässiger rechtshistorischer Grundlagen.
Erst dann können auch die Leistungen eines Friedrich von Spee (1591-1635) und eines
Christian Thomasius (1655-1728) gewürdigt werden. Im folgenden sollen kurz die rechtlichen
Lösungsversuche aufgezeigt werden, um das Verständnis für den Ansatz des Thomasius
vorzubereiten. Die Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 bestimmte in Art. 109:
„So jemand den Leuten durch Zauberei Schaden oder Nachteil zufügt, soll man straffen
vom Leben zum Tod und man soll diese Straff mit dem Feuer tun. Wo aber jemand Zauberei
gebraucht und damit niemand Schaden getan hett, soll sunst gestraft werden nach
Gelegenheit der Sach, darinnen die Urteiler Rats gebrauchen sollen..." Hier findet sich
noch der vortheologische Begriff des Schadenszaubers. Schadloser Zauber sollte „nach Gelegenheit
der Sach", d. h. milder bestraft werden. Der bloße Teufelspakt war in diesem
Gesetz überhaupt nicht enthalten. Nachdem für den kirchlichen Hexen-Ketzer-Begriff auch
weltliche Strafsanktionen gefordert wurden, mußte juristische Interpretationskunst den
Art. 109 auf den Hexenbegriff abstimmen. Der hierüber entstandene dogmatische Streit
bedeutete für viele Beschuldigte die Entscheidung über Leben und Tod. Während der
Frankfurter Johann Fichard (1511-1581) und der Rostocker Johann Georg Gödelmann
(1559-1611) lediglich an der Todeswürdigkeit des Schadenszaubers festhielten, sollte nach
dem belgischen Jesuiten Martin Delrio (1551-1608) und dem Trierer Weihbischof Peter
Binsfeld (1545-1598) nur die schwarze Kunst, worunter einfache Gaukeleien verstanden
wurden, milder bestraft werden. Auch der aus Ingolstadt kommende Freiburger Gelehrte
Friedrich Martini (f 1630) stellte in seiner „Interpretatio Carolinae Constitutionis CIX"
lediglich auf den Teufelsbund ab: Der Peinlichen Halsgerichtsordnung komme es nicht auf
den Schadenserfolg an, vielmehr wolle sie die Zauberei in der Form der im Gesetz nicht

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