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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1969/0239
Besprechungen

Fortschritt und Vaterland bekämpft werden müßten, davon waren auch sie überzeugt. Im
Gegensatz zu Bismarck jedoch, dessen schroffes Vorgehen sie als das Gegenteil bewirkend
verurteilten, wollten sie zu einer Verständigung mit den offenen und heimlichen Gegnern
des Infallibilismus von 1870 kommen und dann mit ihrer Hilfe die ultramontane Richtung
zum „Absterben" bringen. Worauf dieses Bündnis mit dem liberal-katholischen Bürgertum,
wie es sich vor allem unter den Altkatholiken fand, wie auch die Methode des „suaviter in
modo, fortiter in re" hinauswollte, zeigt sich dann deutlich in der Zustimmung zu den
Maigesetzen: Es sollte die im Staatsverständnis namentlich süddeutscher, auch katholischer
Fürsten liegende Staatskirchenhoheit mit Hilfe liberal-katholischer Kreise gegen die
Emanzipationsbestrebungen der Ultramontanen gerettet werden. Zugleich kommt in der
Wendung gegen die Ultramontanen das tiefe Mißtrauen hocharistokratischer, liberal-konservativer
Honoratioren gegen politische, der Demokratie verdächtige Massenbewegungen zum
Ausdruck. Noch deutlicher zeigt sich dies in einer zweiten, das erste Jahrzehnt des Bismarckreiches
beherrschenden Frage, in der Abwehr der Sozialdemokratie. Auch hier zunächst viel
Kritik an Bismarcks Polizeistaatsmethoden - „Das nun zustande gekommene Sozialistengesetz
ist die vollendete Diktatur des Reichskanzlers über Deutschland" (Friedrich S. 325);
bis auf Reuß ä. L. haben ihm die Fürsten dann doch zugestimmt -, auf der anderen Seite
aber wieder die Uberzeugung, daß die Sozialisten „von unten herauf vernichtet" werden
müßten, indem sich die „Regierungsenergie" mit dem „gesunden Volksbewußtsein" paart,
wie Karl Anton meinte (S. 300). Von solchen Phrasen abgesehen, lief dann freilich die
einzig praktische Abwehrmaßnahme, die man anzuregen wußte, darauf hinaus, das allgemeine
Stimmrecht als „eine stets drohende Gefahr" (Karl Anton S. 288) oder auch „das
heillose Wahlrecht" (Friedrich S. 242) zu revidieren, um dem „Menschenverstand und der
Erfahrung" wieder die Tür zu öffnen (Friedrich S. 142), d. h. zu versuchen, über das Wahlrecht
die Sozialisten möglichst aus den Parlamenten fernzuhalten und damit den Staat
wieder voll den Angehörigen von Besitz und Bildung zu überantworten, wie es in den Zielen
der liberal-konstitutionellen, dem Großherzog auch um seiner eigenen Stellung willen
wichtigen Doktrin lag. Nur, wenn man sich auf diese Weise von den „von unten her" in den
staatlichen Bereich vorstoßenden Kräften versagte, konkreter, die Demokratie als Bundesgenossen
gegen den „Diktator" verschmähte, dann mußte zwangsläufig die eigene „Emanzipation
von Bismarck" in die Sackgasse einer platonischen Opposition führen; sie mußte
zur bloßen von-Mund-zu-Mund-Propaganda eines esotherischen Kreises werden, der den
Weg zur Massengesellschaft nicht fand und sich damit selbst aus dem Geschäft zog.

Wie sehr gerade Friedrich noch dem älteren Liberalismus verhaftet blieb, verraten
insbesondere sein Briefwechsel mit seinem Vertrauten Heinrich Geizer wie auch die Aufzeichnungen
des letzteren. Fuchs hat sie mit Bedacht in breiter Ausführlichkeit aufgenommen
, um den Leser mit der geistigen Atmosphäre um den Großherzog vertraut zu machen.
Der aus dem benachbarten Schaffhausen stammende Johann Heinrich Geizer (1813-1889)
war Theologe, Historiker und Diplomat. 1843 von Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin
berufen, hielt er dort bis 1852 Vorlesungen in konservativ-christlichem Geist. Dann ließ er
sich in Basel nieder. Von 1852 bis 1870 gab er die „Protestantischen Monatsblätter" heraus
, in denen er seine Leser von der notwendigen, durch Erziehung zu bewirkenden Durchdringung
von Religion, Bildung und Politik zu überzeugen suchte. 1860 wurde er durch
Vermittlung Roggenbachs mit dem Großherzog bekannt, mit dem ihn bald eine tiefe Freundschaft
auf der Grundlage der gleichen idealen Gesinnung verband. Mit dem Großherzog
hat er sich auch warm für die deutsche Nationaleinigung eingesetzt, dabei überzeugt, daß
Deutschland den „providentiellen Beruf" habe, „das Israel der Neuzeit zu werden" (S. 38).
Geizer selber fühlte sich berufen, die Deutschen unermüdlich an ihre religiös-ethische Sendung
zu erinnern: „Sei Du der prophetische Erwecker und Lehrer Deiner Nation ..., sei
der deutsche Fichte für 1873" (S. 115). Solche und ähnliche Selbstaufforderungen - „Gelübde
", die er in ermüdender Wiederholung seinen Tagebüchern und „Losungen" anvertraute
-, geben u. a. Aufschluß über das nationale Selbstverständnis des geistig in Deutsch-

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