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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0115
Süddeutschland und die Reichsgründung

bleiben sollte. Gervinus griff für seine bessere Alternative auf die Ordnung des
Wiener Kongresses zurück, in Wirklichkeit reichte das Konzept weit in die Reichsvergangenheit
zurück, und nicht zuletzt deshalb waren seine Gedanken in dem stark
mit ehemaligen reichsunmittelbaren Gebieten durchsetzten Süddeutschland - man
nannte die Mittelstaaten ja auch die „Reichsländer" - erstaunlich weit verbreitet.
So meinte Joseph Edmund Jörg, Wortführer der bayerischen Patrioten, in einer
Untersuchung über die Garantien, die ein deutscher Machtstaat auf seine Sicherheit
und Existenz habe, daß diese wohl nur noch in militärischer Stärke und steter
Einsatzbereitschaft liegen würden, mehr daß ein Staat, der sich in solcher Weise
dem Wechselspiel von Drohung und Bedrohung, von Rüstung und Gegenrüstung
aussetzt, eines Tages die Flucht nach vorn antreten, d. h. seine Sicherheitsfrage
militärisch lösen könnte. Dies eröffne namentlich für die Süddeutschen, die
„historisch" in alles andere eher hineingeboren seien als in „ein Militärstaatswesen
zum behufe der Weltherrschaft", seine schrecklichen Perspektiven Der Klerikale
wie auch der Demokrat spannen mit ihren Planspielen, denen sie die bekannten
Kategorien und Spielregeln des herkömmlichen europäischen Staatensystems zugrundelegten
, nur weiter, was bis 1866 den eigentlichen Gegensatz zwischen Großdeutschen
und Kleindeutschen ausgemacht hatte. Dieser wurde nun angesichts des
sich von Norddeutschland her abzeichnenden Wandels noch einmal mit Macht, und
zwar bis weit hinein in die Reihen der großdeutsch-föderalistischen Demokraten
virulent. Aufgegriffen wurde dabei das Südbundprojekt, auch dies ein Gedanke der
Vergangenheit, nämlich die alte Trias deren außenpolitisch-europäische Seite nun
bis zur gewollt provokatorischen Formel von der einen Nation, „aber getrennt in
Zelten", herausgestellt wurde 18. Nicht weniger wichtig war freilich auch das Be-

™ In den von Jörg hrsg. H.P.B1. Bd. 66 (1870) S. 229. Der aus dem schwäbischen Allgäu stammende
Jörg (1819—1901) gehört zu den bedeutendsten Publizisten des 19. Jahrhunderts. Als Abgeordneter
der bayerischen Kammer wurde er zum intelligentesten Sprecher der Patrioten wie auch zum
hartnäckigsten Widersacher einer Nationaleinigung unter preußisch-militaristischen und bürgerlichnationalistischen
Vorzeichen. Eine neue Arbeit über den originellen Mann hat Karl-Hermann Lucas
vorgelegt: Joseph Edmund Jörg. Konservative Publizistik zwischen Revolution und Reichsgründung
(1852-1871). Diss. Köln 1969.

17 Von Einzeluntersuchungen abgesehen, fehlt eine zusammenhängende Arbeit über die Trias und
die mannigfachen historisch-traditionalistischen, politischen und geistigen Strömungen, die in der
Doktrin vom »dritten Deutschland' zusammenflössen. Angeschlagen hat das Thema Richard
Dietrich: Das Jahr 1866 und das „Dritte Deutschland". In: Europa und der Norddeutsche Bund.
Hrsg. v. R. Dietrich. Berlin 1968. S. 85—108. Daß namentlich die Demokraten der Mittelstaaten
am dreigliedrigen Deutschland, wenn auch aus stets mehr oder weniger taktischen Gründen,
Geschmack fanden, ist weithin auf die Jahre 1849/50 zurückzuführen, als sich im Rahmen der
preußischen Unionsbestrebungen das Bündnis von Großpreußentum und Großbürgertum unter einer
Verfassung abzeichnete, der die demokratischen Giftzähne der Paulskirche gezogen waren. Angesichts
dieses „Scheinkonstitutionalismus" setzte sich die Oberzeugung fest, daß eine relative
Unabhängigkeit der Einzelstaaten für die Durchsetzung der Demokratie günstiger sei. In der Zeit
jenes „Vorspiels" einer deutschen Nationaleinigung wurden denn auch all die Argumente vorgeformt
, die dann nach 1866, als es „ernst" wurde, verstärkt wiederkehrten.

18 So etwa durch Andreas Haupt, Direktor der Landwirtschafts- und Gewerbeschule in Bamberg, in
seiner Schrift: „Sind die Ultramontanen eine vaterlandslose Partei?" Bamberg 1869. S. 64.
Inhaltsangabe der Schrift bei Karl-Georg Faber: Die nationalpolitische Publizistik Deutschlands
von 1866-1871. 2 Bde., Düsseldorf 1963. Bd. 1. Nr. 528, S. 356. Die beiden Bände Fabers geben
einen vorzüglichen Einblick in die politischen und geistigen Strömungen der Zwischenkriegsjahre,
namentlich auch in Süddeutschland.

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