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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1970/0127
Süddeutschland und die Reichsgründung

liberalen Zeitgeist gefunden hatte. Dies trug entschieden dazu bei, daß das emanzi-
patorische Bedürfnis von Kirche und katholischer Bevölkerung mißdeutet, diskreditiert
, der Massenaufmarsch nicht ganz zu Unrecht als kirchenpolitisch ferngesteuert
desavouiert, daß überhaupt die politische Manövrierfähigkeit des katholischen Bevölkerungsteils
erheblich eingeschränkt und die ganze Bewegung-nach Bismarck der
„katholische Parlamentarismus" der „weltlichen Jesuiten" 74 - unter Ausbeutung
der antikatholischen und nationalistischen Affekte der Zeit schließlich isoliert werden
konnte. Die Bindung an die Kirche bedeutete zudem, daß jede politische Aktion
auf diese Rücksicht zu nehmen hatte. Das zeigte sich schon im Ringen um Zustimmung
oder Ablehnung der Versailler Verträge. So rechtfertigte Max Huttier, der
Redakteur der Augsburger Postzeitung, seine schließliche Zustimmung - einen „Akt
aus Verzweiflung" nannte er sie - damit, daß ein Nein nicht auf die Neinsager,
sondern auf die Kirche zurückfallen oder aber, was auf dasselbe hinauslief, daß es zu
einem Staatsstreich kommen würde, der die Patrioten, eben auch Sachwalter der
Kirche, aus dem politischen Leben ausschalten würde75. Noch deutlicher zeigte sich
das kirchenpolitische Motiv in Baden, wo die Kirche seit Jahren mit dem Staat
in Konflikt lag. Hier hoffte die katholische Volkspartei, die 1869 entstanden war n,
mit einer Zustimmung die Übertragung der verfassungsrechtlichen Regelung des
Verhältnisses von Staat und Kirche in Preußen auf die Reichsverfassung einhandeln
zu können und dadurch den „badischen Jammer" loszuwerden77. An die Kirche
gebunden bedeutete weiter, daß eine Partei, das Zentrum dann durch Schläge auf
eben diese Institution auf den Boden des Reiches und der bestehenden Herrschaftsverhältnisse
hinübergetrieben werden konnte, dies umso mehr, als rechtsgerichtete
Kreise in der sozial heterogenen Partei diese Bewegungsrichtung ebenso förderten
wie der traditionelle Antiklerikalismus der Linken einem Ausbruch nach links entgegenstand
. So wenigstens deutete Hans Delbrück einmal und nicht zu Unrecht
Sinn und Ergebnis des Kulturkampfes7*.

Noch deutlicher treten Stellung und Unzulänglichkeiten der oppositionellen
Kräfte hervor, wenn man sie unter dem Blickpunkt ihrer historischen Kontinuität
betrachtet. Nach rückwärts gesehen, sind es dieselben, die sich 1848/49 einer Lösung
der deutschen Frage in kleindeutsch-preußischem und antidemokratischem Sinn
widersetzt hatten. 1848 glaubten namentlich die süddeutschen Demokraten noch.

74 Aus „Erinnerungen und Gedanken". Bismarck: Gesammelte Werke Bd. 15. S. 333.

75 Frisch: Einigung. S. 114. Huttier und seine Anhänger gaben dann auch den Ausschlag, daß auch
in der bayerischen Kammer die Versailler Verträge mit 102 gegen 48 Stimmen die erforderliche
Zweidrittelmehrheit erhielten.

78 Dazu die beiden Aufsätze von Julius Dorneicb: Die Entstehung der badischen „Katholischen
Volkspartei" zwischen 1865 und 1869 im Tagebuch von Baurat Dr. Karl Bader. In: Freiburger
Diözesanarchiv. Bd. 84 (1964) S. 272—399, und Lothar Galt: Die partei- und sozialgeschichtliche
Problematik des badischen Kulturkampfes. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins.
Bd. 113 (1965) S. 151-196.

77 So Karl Bader. S. Domeich: Entstehung. S. 363. In der 2. Kammer stimmten dann auch in der
Hoffnung auf die „Erreichung eines gemeinsamen Rechtszustandes der katholischen Kirche in ganz
Deutschland" die Abgeordneten der Katholischen Volkspartei für die Verträge. Politisch freilich
ergab man sich in das „Schicksal, welches der Himmel nun einmal über uns verhängt hat". So in
einem Bericht aus Baden in den H.P.B1. Bd. 67 (1871) S. 88.

79 Delbrück: Deutschland und der Ultramontanismus. In: Preußische Jahrbücher 1897. Aufgen. in:
Delbrück: Erinnerungen, Aufsätze und Reden. 3. Aufl., Berlin 1905. S. 409—424.

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