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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1973/0118
Dedter-Hauff

das „Amen" deutlich als Gebet gekennzeichnet wird. Durch die Schlußzeilen wird
der Charakter des ganzen Textes als Totengedächtnis, als commemoratio defunc-
torum, als Text im liturgischen Gebrauch deutlich unterstrichen.

Daß hier (entgegen dem ersten Eindruck, der nur eine ungegliederte und zeitlich
verwirrte Folge von Ehepaaren und Hagestolzen, Geistlichen und Laien zu bieten
scheint) ganz bewußt komponiert und nach Sachgruppen gegliedert wurde, mag
folgendes Aufbau-Schema skizzieren:

Vorspruch (zum Hause Hohenberg und Kloster Reuthin)

Die Stifter des Klosters Reuthin

Ehepaare (in Reuthin begraben)

Unverheiratete regierende Grafen

Ehepaare (nicht in Reuthin begraben)

Klosterfrauen in Reuthin

Die Letzten des Hauses Zollern-Hohenberg

Schluß gebet

Dieser Aufbau zeigt nicht nur stilistisches Geschick und liturgisches Feingefühl,
sondern erhellt auch, warum wir hier (nach modernen Gesichtspunkten) nicht einfach
nur Genealogie oder Chronologie erwarten dürfen. Dem Verfasser oder Redaktor
geht es ja im Grunde nicht darum, eine Geschichte des Hauses Zollern-Hohenberg
zu schreiben, sondern er ordnet für ein Totengedächtnis innerhalb eines
Gottesdienstes jene Personen des Hauses, die zu Reuthin in besonderer Beziehung
standen, und er ordnet sie so, wie es dem Denken innerhalb des Klosters entsprach:
die in Reuthin Begrabenen haben Vorrang bei der Commemoration.

Nun verstehen wir auch die Strophenform, das Gleichmaß des Textaufbaus, die
gliedernden, Zäsuren setzenden Wiederholungen: der ganze Text wird eher verständlich
, wenn wir ihn uns gesprochen (vielleicht sogar psalmodierend gesungen?)
vorstellen. Er ist ein Totengedächtnis für Mitglieder des Hauses Zollern-Hohenberg
in den Formen einer strophisch gegliederten Litanei, zur Rezitation bestimmt.

Ohne meinen Forschungen zur Überlieferungsgeschichte des Wiener Codex vorzugreifen
, kann die erste Redaktionszeit des Originals dieses Gedächtnistextes einigermaßen
eingegrenzt werden. Der Tod des Grafen Siegmund von Hohenberg
(1486) muß vorausgegangen sein; andererseits kann zu der Zeit, da in Reuthin die
zwangsweise Reformation durch das Herzogtum Wirtemberg trotz des kräftigen
Widerstandes der Klosterfrauen einsetzte (1534/35 ff.), der Text nicht mehr verfaßt
worden sein. Manche sprachlichen Altertümlichkeiten (gemahel, Tubingen)
scheinen nahezulegen, die Abfassungszeit früh anzusetzen, aber sie können auch aus
den Vorlagen (Jahrzeitbüchern, Seelegerätstiftungen) übernommen sein.

Ein anderer Grund spricht aber dafür, daß der Text bald nach dem Tod des
letzten Hohenbergers, noch im 15. Jahrhundert entstand: Nachdem das Haus nun
gänzlich erloschen war, mußte das in den Augen der Klosterfrauen wie eine große
Zäsur erscheinen. Denn daß mit dem Hause Zollern ja ein ursprünglich mannes-
stammgleiches Haus noch blühte, gehörte damals in Reuthin schwerlich zum genealogischen
Bildungsgut der Klosterfrauen. Die Namen und Wappen Hohenberg und
Zollern waren verschieden, und für die Reuthinerinnen war mit Siegmund ihr Stiftergeschlecht
wirklich ganz erloschen. Für alle Hohenberger jetzt einen gemeinsamen
Jahrtag zu feiern und die vielen einzelnen Seelgeräte, die in Jahrhunderten von

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