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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1973/0185
Besprechungen

niAt etwa kettengliedartig einander folgen, sondern sich nebeneinander entwickeln und
ausformen mit zum Teil schmerzvollen Prozessen des Ubergangs in einen anderen politischen
und sozialen Gesamtstatus. Dabei fällt dem Recht eine ausgleichende auf materielle
Gerechtigkeit hinzielende Bedeutung zu; ja, es wird zum Prüfstein für die Höhe der Rechtskultur
einer Epoche, ob es gelingt, notwendigen Strukturwandel gerecht zu bewältigen.

Der Kampf der Standesherren um ihre angefochtene Rechtsstellung ist, will man einige
gegensätzliche Positionen locker aufreihen, eine Auseinandersetzung in einer Zeit des Umbruchs
von der Agrar- zur Industriegesellschaft und im Spannungsverhältnis von Allgemeinem
Gesetz und Privileg, altem Recht und neuem Recht, Legitimität und Legalität,
demokratischem und aristokratischem Prinzip, Parlamentssouveränität und Regierungsabsolutismus
, Gruppenautonomie und Fremdbestimmung, Majoritätsprinzip und mehrheitsfesten
Einzelrechten (iura singulorum), bundesrechtlich-völkerrechtlicher Garantie und einzelstaatlicher
Souveränität, „Oberlandesherrschaft" und „Unterlandesherrschaft", „Reaktion
" und „Fortschritt", kurzum: ein Streit um Gewährungen und Entwährungen, wie ihn
die Entwicklung des bürgerlichen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts kennzeichnet.

Die Rolle der Standesherren in einem kleineren deutschen Staat wie Württemberg läßt
sich nur auf dem Hintergrund der allgemeinen politischen, sozialen, ökonomischen und
juristischen Kräfte und Ideen beschreiben, will man ein abgerundetes Bild erlangen, wie es
die Untersuchungen von Heinz Gollwitzer (Die Standesherren, 1957, 1964) und von Hanns
Hubert Hofmann (Adlige Herrschaft und souveräner Staat, 1962) vorgezeichnet haben.
Die juristische Dissertation von Ulrich Neth aus der Schule des Tübinger Rechtshistorikers
Ferdinand Elsener beschränkt sich freilich angesichts der Fülle des aufzubereitenden Materials
auf die Entwicklung der Rechtsstellung der württembergischen Standesherren in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unter Ausschöpfung der reichhaltigen Literatur, die
mit ihren Denkschriften und Gutachten so etwas wie eine „standesherrliche" hervorgebracht
hat (genannt seien Dickel, Emmerich, Hammann, Heffter, Heß, Köbel, Kohler, Mack, Mil-
czewsky, Pfizer, Schreiber, Vahlteich, Vollgraff, Wolfgang Weber, Zachariä und Zöpfl),
wertete der Verfasser neben den Kammerverhandlungen die einschlägigen württembergischen
Aktenbestände sowie Akten des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart und vor
allem des Hauses Öttingen-Wallerstein aus, war doch der juristisch vorgebildete Fürst
Karl zu Öttingen-Wallerstein einer der bedeutendsten Anwälte der standesherrlichen
Sache und Vertreter der württembergischen Standesherren sowohl gegenüber der einheimischen
Regierung als auch bei dem Deutschen Bund.

Werfen wir einen Blick auf die wechselvollen Stationen der Auseinandersetzungen der
Standesherren mit Krone, Landtag und Bundesversammlung. Im Mittelpunkt der Untersuchung
stehen die achtzehn Jahre Restauration nach der Revolution von 1848. Um die
Entwicklung verdeutlichen zu können, skizziert der Verfasser aber zunächst die vormärzliche
Gesetzgebung zur Beseitigung von Standesvorrechten. Die Regierung des ersten württembergischen
Königs war nicht gerade dazu angetan, in den frisch Mediatisierten irgend
eine Zuneigung für die neue Oberherrschaft zu entfachen, die im Gegenteil alles tat, um die
in der Rheinbundakte von 1806 gewährten Vorrechte strikt zu beseitigen, „Unterlandesherrschaften
" nicht zu dulden und die Standesherren nahezu schlechter zu stellen als die
übrigen Untertanen des neugebackenen Königreichs, ein Vorgehen, das die Entfremdung
der Standesherren vom Thron auch für die Zukunft bewirken sollte. Der Deutsche Bund
gewährte nicht zuletzt im Blick auf die württembergischen Praktiken in Artikel 14 der
Bundesakte vom 8. 6. 1815 den Standesherren Sonderrechte, die einen „gleichförmig bleibenden
Rechtszustand" in allen Bundesstaaten herzustellen bestimmt waren. Diese völkerrechtliche
Garantie erstreckte sich auf folgende Punkte: Die Standesherren werden zum
hohen Adel gerechnet, sie haben das Recht der Ebenbürtigkeit, die Häupter der standesherrlichen
Häuser sind die ersten Standesherren im Staat und bilden dessen privilegierteste
Klasse insbesondere hinsichtlich der Besteuerung, alle aus dem Eigentum und dessen ungestörtem
Genuß fliessenden Rechte werden garantiert, soweit sie nicht zur Staatsgewalt und
den höheren Regierungsrechten zählen, vor allem Freizügigkeit und Niederlassungsfrei-

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